Lwiw/Versailles, 11. Mrz (Reuters) – Die russischen Streitkräfte in der Ukraine haben die Bombardierung mehrerer Städte fortgesetzt und ihre Einheiten nahe Kiew neu gruppiert. Das britische Verteidigungsministerium sprach am Freitag von einer Neuaufstellung für offensive Aktivitäten, die sich auch gegen die Hauptstadt richten könnten.
Russlands Präsident Wladimir Putin sorgte an den Finanzmärkten für positive Kursausschläge mit einer Äußerung, es gebe „bestimmte positive Veränderungen“ in den Gesprächen mit der Ukraine. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj schwor seine Landsleute indes auf Kampfes- und Siegeswillen ein. Mittlerweile sind mehr als 2,5 Millionen Ukrainer außer Landes geflohen. Die EU will ihre Militärhilfe für die Ukraine verdoppeln.
Satellitenbilder der Firma Maxar zeigten gepanzerte Fahrzeuge in Orten nahe des Antonow-Flughafens in Hostomel nordwestlich von Kiew. Andere Einheiten seien in Lubjanka nördlich von Kiew eingerückt und hätten Artillerie in Stellung gebracht, teilte der US-Konzern mit. Der Generalstab der Ukraine berichtete ebenfalls, die russischen Truppen gruppierten sich neu und sprach von schweren Verlusten auf Seiten der Invasoren. Die Angaben können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Die russische Führung spricht nicht von einem Krieg in der Ukraine, sondern von einem militärischen Sondereinsatz, der das Land entmilitarisieren und entnazifizieren solle.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums nahmen prorussische Rebellen Wolnowacha im Norden der eingekesselten Hafenstadt Mariupol ein. Dort sollte den siebten Tag in Folge versucht werden, einen humanitären Korridor zu errichten.
GOUVERNEUR: WOHNGEBIETE IN CHARKIW 89 MAL BOMBARDIERT
Aus mehreren Teilen der Ukraine wurden neue russische Bombardierungen gemeldet. Der Katastrophenschutz in Dnipro berichtete von drei Luftangriffen, bei denen mindestens eine Person ums Leben gekommen sei. Wohngebiete in Charkiw wurden dem Gouverneur der Region zufolge an einem Tag 89 Mal bombardiert. Bürgermeister Ihor Terechow berichtete von 48 zerstörten Schulen. In Mariupol warteten weiter Hunderttausende Menschen auf einen Korridor, um die Hafenstadt verlassen zu können. „Wir hoffen, dass es heute klappen wird“, erklärte Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, die Waffenruhe zu brechen.
Dem ukrainischen Energieversorger Energoatom zufolge war fast eine Million Menschen ohne Strom. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind inzwischen mehr als 2,5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten von ihnen nach Polen. Einem Sprecher des Bundesinnenministeriums zufolge wurden mehr als 109.000 Kriegsflüchtlinge in Deutschland registriert. In der Ukraine lebten vor der russischen Invasion etwa 44 Millionen Menschen.
Putin erläuterte nicht näher, welche Art von Fortschritten es bei den Gesprächen mit der Ukraine gebe. „Es gibt bestimmte positive Veränderungen, sagen mir Unterhändler auf unserer Seite“, sagte er bei einem Treffen mit seinem belarussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko. Putin fügte hinzu, dass die Gespräche „praktisch täglich“ fortgesetzt würden.
Ukraines Präsident Selenskyj erklärte, sein Land sei auf Siegeskurs und habe im Krieg mit Russland einen „strategischen Wendepunkt“ erreicht. Es brauche noch Zeit und Geduld, bis der Sieg erreicht sei, sagte Selenskyj in einer TV-Ansprache. „Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Tage wir noch brauchen, um ukrainisches Land zu befreien. Aber wir können sagen, dass wir es schaffen werden.“ Die internationale Gemeinschaft forderte er auf, ihre Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.
EU-KOMMISSION: WOLLEN MILITÄRHILFE VERDOPPELN
Die EU kündigte an, ihre Militärhilfe für die Ukraine zu verdoppeln. Die EU-Kommission habe vorgeschlagen, weitere 500 Millionen Euro bereitzustellen, sagte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell beim EU-Gipfel in Versailles. Er sei sicher, dass die Mitgliedsstaaten dies genehmigten. Die EU erwäge auch, weitere Sanktionen gegen russische Oligarchen und die Wirtschaft zu verhängen. Allerdings sollen russisches Gas und Öl weiter ausgenommen werden, erklärte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.
Der Krieg hat inzwischen für beide Seiten auch zunehmende wirtschaftliche Auswirkungen. Die ukrainische Wirtschaft habe einen Schaden von 119 Milliarden Dollar erlitten, sagte Vize-Wirtschaftsminister Denys Kudin. In den unmittelbar betroffenen Gebieten hätten 75 Prozent der Firmen den Betrieb eingestellt. Neben den bestehenden westlichen Sanktionen will US-Präsident Joe Biden offenbar die normalen Handelsbeziehungen mit Russland kappen und höhere Zölle auf russische Importe fordern, wie Reuters von einem Insider erfuhr. Seit der Invasion am 24. Februar haben sich zahlreiche Großkonzerne aus Russland zurückgezogen
Putin schürt Hoffnungen – Selenskyj sieht Ukraine auf Siegeskurs
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