Ein Marktkommentar von Marcus Weyerer, Senior ETF Investment Strategist EMEA bei Franklin Templeton Investments:
Trotz der explodierenden Inflation hat sich die südkoreanische Wirtschaft bemerkenswert gut behaupten können. Die Bank of Korea hat somit einen größeren Spielraum für Zinserhöhungen. Das Wachstum lag im zweiten Quartal bei 0,7%, das bedeutet ein Plus von fast 3% gegenüber dem Vorjahr. Sollte sich dieser Trend im Rest des Jahres fortsetzen, würde sich diese Entwicklung mit den bisherigen Prognosen decken. Wenn man bedenkt, dass derzeit weltweit die BIP-Prognosen auf breiter Basis nach unten korrigiert werden, ist dies ein durchaus beachtliches Wachstum.
Den Ergebnissen vorangegangen war die Veröffentlichung robuster Daten zum Verbrauchervertrauen für das erste Halbjahr. Dieser Optimismus ist zwar inzwischen fast komplett verpufft, doch eine andere – vielleicht sogar wichtigere – Säule der koreanischen Wirtschaft könnte in den Herbst- und Wintermonaten wieder an Stärke gewinnen: die Exporte. Mit einem Rückgang um 3,1% gehörten sie im zweiten Quartal zu den schwächsten BIP-Komponenten, was aber auch keine Überraschung gewesen sein dürfte.
Die in chinesischen Megastädten verhängten Lockdowns und die extrem hohe Inflation in den USA haben auf den beiden wichtigsten Exportmärkten Koreas zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt. Eine Erholung könnte jedoch unmittelbar bevorstehen: Im Juni sind die Exporte in die USA um 12,2% auf einen monatlichen Rekord gestiegen und die Lieferungen in die EU sind um 14,6% nach oben geschnellt. Der Außenhandel mit China lag im Monatsvergleich nach wie vor im Minus, wir gehen aber davon aus, dass die pandemiebedingten Einschränkungen im zweiten Halbjahr weiter gelockert werden und dann auch die Wirtschaftsaktivität zunimmt, wenn die allmähliche Erholung in China andauert.
Korea ist eine der führenden Handelsnationen und auf China entfällt rund ein Viertel der Gesamtexporte. Der private Konsum ist für die Wirtschaft des Landes relativ gesehen weniger wichtig als der Handel. Anders ausgedrückt: Wenn die ersten Monate des Jahres 2022 von widerstandsfähigen Konsumausgaben, aber pandemiebedingt schwachen Exporten geprägt waren, dann könnte die Wirtschaft im zweiten Halbjahr bei steigenden Exporten anziehen, selbst wenn sich der Konsum im Inland abschwächt.
Die Halbleiterbranche ist sowohl für die breitere Wirtschaft als auch für den Aktienmarkt von immenser Bedeutung. Gleichzeitig wissen Unternehmen und Anleger, dass die Halbleiterindustrie stark zyklisch ist. Daher könnten diese Erwartungen bereits eingepreist sein. Samsung und SK Hynix, zwei der in Korea – und auch weltweit –führenden Halbleiterhersteller, haben sich um mehr als 30% gegenüber ihrem jeweiligen Allzeithoch verbilligt. Doch diese Zyklizität sorgt in Verbindung mit einem hohen Investitionsaufwand und den technischen Kompetenzen, die potenzielle Konkurrenten benötigen, auch für einen Wettbewerbsvorteil der größten Unternehmen im Sektor und gleichzeitig ganzer Länder – und Südkorea dürfte zu diesen Ländern gehören.
Hohe Produktivität könnte sogar Abhängigkeit von Russland kompensieren
Ein weiterer Faktor, der in den kommenden Monaten für zunehmende Unterstützung sorgen könnte, ist der nachlassende Aufwärtsdruck auf Nahrungsmittel- und Ölpreise. Korea hängt bei Agrarprodukten fast vollständig von Importen ab, dabei stammen etwas weniger als 20% aus Russland und der Ukraine. Glücklicherweise zeichnet sich das Land durch eine bemerkenswert hohe Produktivität aus und könnte somit bei innovativen Entwicklungen im Bereich der Nahrungsmitteltechnologie gute Fortschritte machen. Tatsächlich legt eine jüngste Studie des Japan Centre for Economic Research den Schluss nahe, dass die Produktivität in Korea so hoch ist, dass das Land gemessen am Pro-Kopf-BIP Japan bis 2027 überholt haben wird.
Die gleiche Effizienz und die gleichen entschlossenen Maßnahmen der Regierung, die die Errungenschaften dieses digitalen Schrittmachers angefacht haben, treiben nun auch die Fortschritte in Seouls Agrartechnologiebranche voran, mit denen die drängenden Probleme der Produktivität im weltweiten Agrarsektor gelöst werden sollen. Korea gehört zu den OECD-Ländern mit der höchsten staatlichen Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich Agrarwissenschaften. Darüber hinaus unterstützt die Regierung auch Pläne für innovative neue Technologien wie beispielsweise Blockchain-gestützte Netzwerke für Lebensmittelsicherheit, um die Transparenz in den Lieferketten zu verbessern.
Unter Vermittlung der Vereinten Nationen und mit der Unterstützung der Türkei haben Russland und die Ukraine vor Kurzem ein Abkommen über die Ausfuhr von Getreide unterzeichnet. Dieses Abkommen ist jedoch äußerst fragil und wurde wahrscheinlich bereits durch russische Angriffe auf Hafenanlagen in Odessa verletzt. Trotzdem könnte es ein seltener Hoffnungsschimmer sein.
Der Rohölpreis sackte unterdessen erstmals seit April unter die Marke von 100USD. Rohöl ist damit nun rund 21% billiger als direkt nach dem ersten Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und nur knapp teurer als unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges. Südkorea hängt stark von Ölimporten ab, niedrigere Preise könnten der neuen Regierung somit helfen, das wachsende Haushaltsdefizit unter Kontrolle zu bringen. Zudem würden sich niedrigere Preise auch positiv auf die Inflationsentwicklung auswirken, die maßgeblich von den Energieimporten getrieben wird.
Präsident Yoon kämpft gegen schwindende Popularität
Präsident Yoon Suk-yeol braucht jede nur erdenkliche wirtschaftliche Entlastung, um die Öffentlichkeit für seine ehrgeizigen Reformen zu gewinnen, mit denen er die Regulierungen lockern und den Arbeitsmarkt, das Rentensystem und das Bildungswesen angehen will. Die Pläne könnten das Wachstum mittel- und langfristig ankurbeln, aber Yoon hat nach seinem extrem knappen Wahlsieg bereits deutlich an Popularität verloren, die Zustimmung zu seiner Arbeit ist deutlich auf unter 40% eingebrochen. Allerdings erlaubt die koreanische Verfassung ohnehin nur eine einmalige fünfjährige Amtszeit koreanischer Präsidenten. Die Chancen für eine Wiederwahl sind für Präsident Yoon somit unerheblich (dies gilt jedoch natürlich nicht für seine Unterstützer im Parlament).
Und schließlich sind wir der Ansicht, dass der koreanische Aktienmarkt vor dem Hintergrund eines schwierigen, aber besser werdenden makroökonomischen Hintergrunds nicht nur gemessen an den Fundamentaldaten attraktiv bewertet, sondern aus technischer Sicht auch überverkauft ist. Ein derartiger Maßstab, mit dem sich Bereiche extremer Kursbewegungen identifizieren lassen, ist der Relative Strength Index (RSI), der zuletzt in den niedrigen 20-Bereich abgesackt ist.
Dieses Niveau wurde nur zweimal in 20Jahren verzeichnet: einmal während der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 und dann noch einmal im Jahr 2015. In beiden Fällen folgte kurz danach ein langanhaltender Bullenmarkt mit neuen Allzeithochs. Derzeit liegt der wöchentliche RSI bei 37 und ist damit von einem pessimistischen in einen neutralen Bereich aufgestiegen. Daran zeigt sich deutlich die positivere Kursdynamik nach dem Abverkauf vom Sommeranfang, unter dem vor allem die Halbleiterhersteller zu leiden hatten.
Produktivität Südkoreas könnte bis 2027 Japan überholt haben
Foto von Marcus Weyerer (Quelle: Franklin Templeton)
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