Dienstag, April 23, 2024
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Probleme bei Cariad symptomatisch für das „System Volkswagen“

Hamburg, 10. Jun (Reuters) – Der von Vorstandschef Herbert Diess vorangetriebene technologische und kulturelle Umbruch beim traditionsbewußten Volkswagen-Konzern hat schon mehrfach die Gemüter erhitzt. Nun braut sich in Wolfsburg erneut etwas zusammen. Diesmal steht die VW-Tochter Cariad im Zentrum der Kritik.

Weil sie mit der Softwareentwicklung nicht schnell genug vorankommt und damit das wichtigste Vorhaben für den Umbau von Volkswagen zu einem datengetriebenen Mobilitätsanbieter in Verzug zu geraten droht, richtet sich der Blick dabei auch Diess selbst. Er müsse liefern, sagen sowohl Konzerninsider als auch Vertreter der Familieneigner Porsche und Piech. Die Ursachen für immer wieder aufkeimende Konflikte und Machtkämpfe bei VW aber liegen tiefer. 

Denn Volkswagen soll sich binnen weniger Jahre quasi neu erfinden, um den Anschluss an den US-Elektroautobauer TeslaTSLA.O nicht zu verlieren. Gewohnte Verhaltensmuster müssen dafür abgestreift, das in Wolfsburg schon sprichwörtliche „Silodenken“ aufgegeben werden. „Volkswagen hat eine einmalige Chance, sich aus einer Position der Stärke heraus für die Zukunft neu aufzustellen“, sagte Finanzchef Arno Antlitz der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir können den Wandel selbst gestalten und finanzieren. Dazu verändern wir die Art und Weise, wie wir den Konzern steuern, wie wir zusammen arbeiten.“

„DIE KRÄFTE ARBEITEN WIEDER GEGENEINANDER“

Ein gutes Stück ist der Konzern dabei schon vorangekommen. Die zahlreichen Automarken, die in der Vergangenheit noch argwöhnisch ihre Pfründe verteidigten, zögen immer mehr an einem Strang, sagen Konzernkenner. Die Probleme mit der Software kämen daher zur Unzeit, weil nun wieder jeder für sich kämpfe. „Die Kräfte arbeiten wieder gegeneinander. Bei der Cariad wird es am offensichtlichsten“, meinte ein Arbeitnehmervertreter.

Deshalb werden jetzt alle Kräfte darauf gerichtet, die Probleme bei der Softwaretochter in den Griff zu bekommen – in der Hoffnung, dass dadurch der Knoten platzt. Bis zur Aufsichtsratsitzung im Juli soll der Vorstand ein Konzept dafür vorlegen. Bereits am 22. Juni ist laut Insidern ein Treffen des Aufsichtsratsprädiums geplant, um Beschlüsse vorzubereiten. Dabei soll soll in erster Linie darum gehen, die Modellanläufe neu zu sortieren. Der Streit um Verzögerungen bei der neuen Premiumplattform PPE von Porsche und Audi und der skalierbaren elektrischen Superplattform SSP, auf der einmal alle Fahrzeuge des Konzerns stehen sollen, solle beigelegt werden. 

Diskutiert werde, dass Porsche die in der Entwicklung befindliche Softwareversion 1.2 länger nutze, um den Übergang zu entzerren, sagte eine mit den Plänen vertraute Person. Den ersten Zuschlag für die prestigeträchtige, weil aufs autonome Fahren nach Level 4 ausgerichtete Softwareversion 2.0 bekommt wohl die Hauptmarke VW. Deren Trinity-Projekt erhielte damit einen zeitlich Vorsprung vor Audi. Hier werde noch Kompromisslinien diskutiert. 

Diess hat den Plan vorgegeben, den niedersächsischen Multimarken-Konzern zu einem auf Software-Plattformen aufbauenden und nach Markengruppen gegliederten Unternehmen zu wandeln – und das möglichst bis zur Mitte des Jahrzehnts. Die Marken sollen mehr Verantwortung übernehmen, um Synergien besser zu nutzen. „Die Skaleneffekte und einheitliche Technologie unserer Tech-Plattformen sind der Schlüssel, um Volkswagen zu einem erfolgreichen, profitablen Tech-Unternehmen zu machen“, sagte Antlitz. „Unsere Tech-Plattformen agieren dabei fokussiert und eigenständig und können auch dadurch enorme Werte schaffen – für die Marken und damit den gesamten Konzern.“ 

„UNTERNEHMERISCHES DENKEN“ 

Vom Management fordert Diess mehr „unternehmerisches Denken“. Das verunsichert viele, die in den früheren Strukturen gewohnt waren, auf den Takt der Zentrale zu hören. Der rasche Wandel werde „von gewisser Seite mit großer Sorge gesehen“, sagte eine mit der Stimmung im Management vertraute Person. „Deshalb zeigen einige mit dem Finger aufeinander und suchen nach Schuldigen.“ 

Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hat schon mehrfach Risse kitten müssen. Die Pendeldiplomatie, mit der er die oft widerstreitenden Interessen im Aufsichtsrat schlichtete, sind Legende. Ein Satz von Pötsch macht deutlich, dass er Unruhe inmitten der Transformation für durchaus nachvollziehbar hält: „Machen Sie sich lieber Sorgen, wenn es ganz ruhig wird in Wolfsburg“, sagte er unlängst. Soll heißen, wenn alles beim Alten bliebe, würde Volkswagen nicht vorankommen.

Probleme bei Cariad symptomatisch für das „System Volkswagen“

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Titelfoto: Copyright [mwissmann] /Depositphotos.com

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