Berlin, 16. Mrz – Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihren Kampf gegen die Inflation mit einer erneuten kräftigen Zinserhöhung fort. Sie hob am Donnerstag trotz der jüngsten Börsenturbulenzen die Schlüsselsätze um einen halben Prozentpunkt an. Der an den Finanzmärkten richtungsweisende Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, steigt dadurch von 2,50 auf 3,00 Prozent.
Analysten und Finanzexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:
EIKO SIEVERT, SCOPE RATINGS:
„Die Kombination aus dem eingeschränkten geldpolitischen Handlungsspielraum der EZB und dem geringeren fiskalischen Spielraum der Regierungen setzt die Kreditwürdigkeit einiger Staaten im Jahr 2023 unter Druck. Die von den meisten Ländern als Reaktion auf Pandemie und Energiekrise ergriffenen wirtschaftlichen Maßnahmen haben zu einer deutlich höheren Verschuldung geführt. Die Verlangsamung des realen Wirtschaftswachstums und die erhöhten Kreditkosten werden es den Regierungen erschweren, zu den Schuldenquoten von vor der Pandemie zurückzukehren, da die Zinslast nach Jahren des Rückgangs steigt.“
HELMUT SCHLEWEIS, SPARKASSEN-PRÄSIDENT VOM DSGV:
„Es ist richtig, die Leitzinsen weiter zu erhöhen, um die Inflation weiter wirksam zu bekämpfen. Dem heutigen Schritt werden voraussichtlich noch weitere folgen müssen. Hohe Zinsen drohen zwar die Wirtschaftsleistung zu schwächen, eine dauerhaft hohe Inflation könnte aber noch größeren wirtschaftlichen Schaden anrichten. Deshalb ist der Kurs der EZB richtig.“
ULRIKE KASTENS, EUROPA-VOLKSWIRTIN BEI DWS:
„Die Europäische Zentralbank hat sich nicht beirren lassen und die Leitzinsen um weitere 50 Basispunkte erhöht, trotz des Bebens an den Finanzmärkten. Dies ist eine gute Nachricht vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Inflationsraten. Gleichzeitig bekräftigt sie ihre Absicht, bei einer Gefährdung der Finanzmarktstabilität mit Liquiditätsmaßnahmen einzugreifen. Doch eine Vorfestlegung des weiteren Zinspfads entfällt. Damit fährt sie auf Sicht, was angesichts der aktuellen Lage verständlich ist. Dennoch: Das Mandat der EZB ist Preisstabilität. Diese ist weder aktuell noch auf Basis der Projektionen für die nächsten Jahre gegeben. Daher dürfte die EZB nicht darum herumkommen, die Leitzinsen weiter zu erhöhen.“
OTMAR LANG, CHEFÖKONOM TARGOBANK:
„Europas Währungshüter haben mit dem heutigen Schritt eine härtere Gangart eingeschlagen als angenommen – und sich eben nicht auf eine Verschiebung oder Aussetzung des Zinserhöhungszyklus verständigt. Das war sehr mutig, aber auch sehr richtig. Notenbanken sind in allererster Linie der Geldwertstabilität verpflichtet. Der Hinweis, einen Baukasten zur Liquiditätsversorgung der Finanzsysteme jederzeit bereit stellen zu können, sollte den Marktturbulenzen entgegenwirken, obgleich die Finanzmärkte vom heutigen Zinsschritt negativ überrascht wurden.“
ULRICH KATER, DEKABANK-CHEFÖKONOM:
„Die EZB hat sich auch von den Turbulenzen im Bankensystem nicht von ihrem angekündigten Zinskurs abbringen lassen. Das drückt berechtigtes Vertrauen in die Solidität des europäischen Bankensystems aus. Trotzdem müssen Notenbanken und Aufsicht auch in Europa Gewehr bei Fuß stehen, um im Einzelfall schnell stabilisieren zu können. Wirtschaft und Finanzsystem müssen von einer Dekade Nullzinsen entwöhnt werden. Das ist eine mühsame Aufgabe.“
HENRIETTE PEUCKER, STELLVERTRETENDE BDB-HAUPTGESCHÄFTSFÜHRERIN:
„Für die EZB hat die Inflationsbekämpfung weiter hohe Priorität, das ist wichtig. Auch nach der heutigen Leitzinserhöhung kann für die Inflation im Euroraum noch keine Entwarnung gegeben werden. Die EZB sollte ihren Kurs weiter fortsetzen, damit die Inflation mittelfristig und nachhaltig zurückgedrängt werden kann. Dabei bewegt sich die EZB aktuell in einem anspruchsvollen Umfeld. Auch haben die jüngsten Zahlen zur Preisentwicklung negativ überrascht. Die Inflation im Euroraum ist hartnäckig. Das schlägt durch auf die weiterhin hohen Inflationserwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher.“
MICHAEL HEISE, CHEFÖKONOM VON HQ TRUST:
„Dass die Europäische Zentralbank trotz der aktuellen Finanzmarktturbulenzen an der im Februar in Aussicht gestellten Zinserhöhung keine Abstriche macht, zeigt, dass sie der Preisstabilität klare Priorität gibt und darin eine unabdingbare Voraussetzung für stetiges Wachstum und stabile Finanzmärkte sieht. Die Notwendigkeit eines solchen Zinsschritts zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch fraglich, denn die Rückschläge an den Finanzmärkten haben die Finanzierungsbedingungen in der Wirtschaft teils erheblich verschlechtert und sie werden – zusammen mit niedrigeren Ölpreisen – die Nachfrage und die Inflation kurzfristig dämpfen.
Ein Glaubwürdigkeitsproblem wäre für die EZB auch bei einem kleineren Zinsschritt wohl nicht entstanden. Sehr wichtig ist die klare Botschaft der EZB an die Marktteilnehmer, dass sie über wirksame Politikinstrumente verfügt, um zusätzliche Liquidität bereitzustellen und eine Ausweitung der aktuellen Krise zu verhindern. Eine Ankündigung weiterer Zinsschritte wäre angesichts der Unsicherheit über die weitere Finanzmarktentwicklung und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Inflation nicht sinnvoll gewesen. Die seit letztem Jahr verfolgte Strategie der EZB, ohne weitreichende Vorankündigungen von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden, sollte beibehalten werden.“
FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT:
„Fed und EZB mussten immer damit rechnen, dass die konsequenten Zinserhöhungen negative Nebenwirkungen für die Finanzmärkte haben können. Die Zentralbanken dürfen aber nicht übersehen, dass auch eine sich verfestigende Inflation ganz erhebliche Stabilitätsrisiken mit sich bringt. Insofern besteht ein klassischer Zielkonflikt: Eine entschlossene Inflationsbekämpfung ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Genau davor haben Kritiker der jahrelangen Nullzinspolitik ja immer gewarnt. Mit den Turbulenzen um SVB und Credit Suisse zeigt sich jetzt deutlich, unter welchen Stress die Zinserhöhungen den Bankensektor setzen. Kommt es zu einer umfassenden Bankenkrise, dann wird auch die EZB ihren Zinserhöhungskurs abbrechen müssen. Dennoch ist es richtig, dass die EZB heute noch einmal einen großen Zinsschritt gemacht hat. Alles andere wäre ein Zeichen der Panik gewesen und hätte die Verunsicherung noch vergrößert.“
JÖRG ASMUSSEN, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER DER VERSICHERER (GDV):
„Die EZB stand heute vor einem schwierigen Zielkonflikt: Weitere Bekämpfung der hartnäckigen Inflation oder Beruhigung der Finanzmärkte. Da die Geldwertstabilität das primäre Ziel der EZB und die Finanzstabilität dem nachgeordnet ist, ist der heutige Zinsschritt um 50 Basispunkte der richtige Schritt. Seit Juli 2022 hat die EZB jetzt in sechs Schritten ihre Schlüssel-Zinssätze um insgesamt 350 Basispunkte angehoben. Das zeigt die verspätete, aber auch deutliche Entschlossenheit, die Inflation an die Zielmarke von zwei Prozent zurückzubringen. Die weiterhin hohen und teilweise steigenden Kerninflationsraten in der Euro-Zone verdeutlichen, dass die EZB bei der Bekämpfung der Inflation nicht nachlassen sollte.“
Ökonomen zur Zinserhöhung der EZB um 0,50 Prozentpunkte
Quelle: Reuters
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