Donnerstag, April 18, 2024
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Ökonomen zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas

Berlin, 18. Aug (Reuters) – Angesichts der rapide gestiegenen Gas-Preise will die Bundesregierung die Verbraucher bei der Mehrwertsteuer entlasten. Künftig werde die Steuer auf Gas sieben statt wie bisher 19 Prozent betragen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag in Berlin. Dies solle bis März 2024 gelten und damit so lange, wie auch die Gasumlage von 2,4 Cent pro Kilowattstunde erhoben wird. Ökonomen sagten dazu in ersten Reaktionen:

SEBASTIEN DULLIEN, WISSENSCHAFTLICHER DIREKTOR IMK-INSTITUT:

„Es ist richtig, dass sich die Bundesregierung des Problems der steigenden Belastung jener Haushalte annimmt, die mit Erdgas heizen. Die Entlastung über die Mehrwertsteuer führt dabei erfreulicherweise auch dazu, dass die gemessene Inflationsrate sinkt und damit das Risiko abnimmt, dass die Inflationsrate im Winter über die psychologisch wichtige 10-Prozent-Marke springt.

Allerdings ist aus Verteilungs- und Anreizgesichtspunkten die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas nicht die ideale Lösung. Da mit der Mehrwertsteuer jede verbrauchte Kilowattstunde Gas billiger wird, werden – in Euro gerechnet – jene mehr entlastet, die auch mehr Gas verbrauchen. Das sind vor allem Haushalte mit hohen Einkommen. Außerdem wird der Anreiz zum Gassparen durch den niedrigeren Preis gedämpft.

Hätte man die nun aufgewendeten Mittel verwendet, um einen Gaspreisdeckel für einen Grundverbrauch von Gas für jeden Haushalt einzuführen, so wäre sowohl die Verteilungs- als auch die Anreizwirkung besser: In einem solchen Fall wäre die Entlastung in Euro gleichmäßiger auf die Haushalte verteilt, außerdem bliebe der Anreiz zum Gassparen in vollem Maß intakt, weil für den Gasverbrauch oberhalb des Sockels der volle Preis fällig wäre.“

MARCEL FRATZSCHER, DIW-PRÄSIDENT:

„Die Mehrwertsteuersenkung auf Gas klingt erst einmal gut, lässt aber eher vermuten, dass die Bundesregierung keine Strategie hat, wie sie Menschen zielgenau entlasten kann und Anreize für Einsparungen setzen will. Die Bundesregierung gibt an, dass die finanzielle Entlastung durch die geringere Mehrwertsteuer in etwa die höheren Kosten durch die Gasumlage kompensiert. Es ist nicht klar, wieso die Bundesregierung die Gasumlage an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergibt, um sie dann mit einer weiteren Maßnahme um den gleichen Betrag zu entlasten. Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Bundesregierung hätte die Gasumlage selber bezahlt und nicht mit diesen zwei Maßnahmen lediglich zusätzliche Bürokratie und Unsicherheit geschaffen.

Die Senkung der Mehrwertsteuer ist aber immerhin besser als gar keine Entlastung. Aber es ist ein teures und nicht zielgenaues Instrument, das Menschen mit geringen Einkommen viel zu wenig entlastet. Das Absenken der Mehrwertsteuer auf Gas bedeutet Hilfen per Gießkannenprinzip, von denen Menschen mit hohen Einkommen den größten Teil der Hilfen bekommen. Und sie ist für Menschen mit geringen Einkommen bei weitem nicht ausreichend. Eine typische vierköpfige Familie, die eine Gasheizung hat, wird durch das Absenken der Mehrwertsteuer um circa 500 Euro im Jahr entlastet. Gleichzeitig bedeuten der Preisanstieg in diesem Jahr, auch nach dieser Absenkung der Mehrwertsteuer, einen Anstieg der Gaskosten um 3600 Euro.

Daher ist die Mehrwertsteuersenkung wenig mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die bessere Maßnahme sind direkte Transferzahlungen, wie ein Energiegeld von 100 Euro pro Monat und pro Person für Haushalte mit mittleren und geringen Einkommen. Die Reduktion der Mehrwertsteuer jetzt darf keine Entschuldigung für die Bundesregierung sein, in einem dritten Entlastungspaket solche zielgenauen und direkten Transferzahlungen umzusetzen.“

JENS SÜDEKUM, INSTITUT FÜR WETTBEWERBSÖKONOMIE DÜSSELDORF:

„Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas ist wieder einmal Politik nach dem Gießkannenprinzip. Sowohl aus der Anreiz- wie aus der Verteilungsperspektive ist die Steuersenkung ein Schritt in die falsche Richtung. Nötig wäre eine Politik, die Preissignale wirken lässt und Belastungen dort abfedert, wo es notwendig ist: bei Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Die Senkung der Mehrwertsteuer verfehlt beides.

Sie kaschiert das Preissignal und senkt den Gaspreis für alle etwas ab. Davon profitieren auch Gutverdiener, für die der Staat derzeit keine Entlastung stemmen kann. Zudem werden die Anreize zum Gassparen verringert. Es wird also genau das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich gerade nötig ist. Es ist bedauerlich, dass sich die FDP innerhalb der Ampelkoalition erneut mit einem sehr zweifelhaften Vorschlag durchsetzen konnte.“

MICHAEL HOLSTEIN, CHEFVOLKSWIRT DZ BANK:

„Diese Maßnahme ist ein zweischneidiges Schwert. Eine finanzielle Entlastung der Bürger ist zwar gut für das Portemonnaie und damit positiv für die Konjunktur. Andererseits sollten teure Energiekosten zum Sparen anregen und nicht durch den Staat gesenkt oder gedeckelt werden. Diese Vorgehensweise erinnert damit an den teuren Tankrabatt, der am Ende nicht für genug Entlastung gesorgt hat. Besser wäre es, Haushalte mit geringerem Einkommen gezielt und direkt zu helfen. Dafür ist die soziale Marktwirtschaft insbesondere in Krisenzeiten da.“

JÖRG KRÄMER, CHEFVOLKSWIRT COMMERZBANK:

„Die Bürger werden verglichen mit den ursprünglichen Plänen der Bundesregierung entlastet. Der Gaspreis wird in Zukunft knapp ein Cent niedriger liegen als bei der bisherigen Mehrwertsteuer und einer unbesteuerten Gaszulage. Dadurch wird die Inflation schätzungsweise um knapp 0,3 Prozentpunkte niedriger ausfallen. Für Oktober und November erwarten wir nicht mehr eine Inflation deutlich über neun Prozent, sondern um neun Prozent. Es ist gut, dass der Staat nicht an der Gasumlage verdienen will. Allerdings hätte er größere Anreize zum Gassparen geschaffen, wenn er die Bürger nicht über den Gaspreis, sondern über direkte Zahlungen entlastet hätte.“

Ökonomen zur Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas

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Titelfoto: Symbolfoto

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