Mittwoch, April 24, 2024
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New Hire Recruiting jenseits von post & pray 

Neben der Ukrainekrise wurde das Jahr 2022 durch den Fachkräftemangel geprägt. Alle sind betroffen: Wir warten länger auf Züge, Handwerker oder Termine beim Arzt. Wir werden überlastet, wenn Kollegen fehlen, wir erhalten schlechtere Pflege, wenn wir selbst bedürftig sind. Der Fachkräftemangel belastet Deutschland jährlich mit rund 100 Milliarden Euro. [1]

Das ist erst der Anfang: Wo zum Jahresbeginn 2023 noch rund 2 Millionen Fachkräfte fehlten, wird sich diese Zahl bis 2035 mehr als verdreifachen. [2] Wenn in den nächsten Jahren die großen Konzerne beginnen, mit ihren starken Marken den Markt stärker abzuschöpfen, wird der Druck auf die kleinen und mittleren Mitstreiter steigen: Die Fähigkeit, passende Mitarbeiter zu finden und zu binden wird zum entscheidenden Überlebensfaktor. 

Es gibt 17 Millionen potenzielle Bewerber – wer kann dieses Potenzial aktivieren?

Die gute Nachricht zuerst: Aktuell sind rund 4 von 10 Beschäftigten unzufrieden und offen für neue Jobs. [3] Für gute Arbeitgeber gibt es also trotz Fachkräftemangel noch Mitarbeiter. Aber nur jedes vierte Talent geht selbst auf die Suche. [3] Der Ball liegt also bei den Unternehmen, von diesen zögert aber immer noch mehr als die Hälfte, aktiv auf Bewerber zuzugehen.[4] 

Immer wieder das Gleiche tun, aber andere Ergebnisse erwarten – so hat Albert Einstein einmal Wahnsinn definiert. Die Praxis zeigt: Trotz Fachkräftemangel gibt es Unternehmen, die erfolgreich neue Mitarbeiter gewinnen. Doch sie gehen dafür neue Wege. Personalsuche funktioniert – nur eben nicht mehr mit den alten Methoden. 

Personalgewinnung ist Chefsache

Ein Erfolgsfaktor ist, wenn Personalgewinnung zur Chefsache gemacht wird. Bereits Steve Jobs rekrutierte über 1000 Mitarbeiter höchstpersönlich. Aus gutem Grund, denn: 

  1. Nur wer fachlich nah dran ist, kann bei den immer komplexer werdenden Stellenprofilen erkennen, ob ein potenzieller Kandidat fachlich wirklich geeignet ist, oder nicht. 
  2. Gute Talente werden mit Anfragen von Recruitern überhäuft und reagieren immer seltener. Schreibt dagegen die zukünftige Führungskraft, steigt die Antwortbereitschaft. 
  3. Wenn der Chef selbst Kontakt aufnimmt, hält das die Prozessdauer kurz, die Verbindlichkeit hoch und vermittelt Wertschätzung. Fragen können direkt geklärt und die Einstellung vorangebracht werden. 

Wenn Talente direkt von der Führung angesprochen werden sollen, bedeutet das nicht, dass diese die ganze Arbeit machen muss. Gut gebriefte Talent Acquisition Manager können zunächst eine Vorauswahl erstellen, die die Führung dann sichtet, um geeignete Kandidaten zu kontaktieren.

Künstliche Intelligenz im Active Sourcing 

Um die begehrten Talente zu catchen, sind individuelle Ansprachen wichtig. Der Einsatz künstlicher Intelligenz kann diese Arbeit erleichtern. Dabei greift jedoch das sogenannte SISO-Prinzip: Shit in, shit out! Wer fit im Thema ist und die KI clever füttert, erzielt gute Ergebnisse. Wer sich keine Mühe macht, erhält nichtssagenden Einheitsbrei. So macht es einen enormen Unterschied, ob man der Software ChatGPT den ersten oder den zweiten der folgenden beiden Aufträge gibt: 

  • „Entwickle bitte einen Text, um Frau Meier für die Stelle Marketing-Assistentin zur Bewerbung aufzufordern.“ 
  • „Entwickle bitte eine prägnante aktive Sourcing Ansprache, um Frau Maier für eine Position als Marketing-Assistentin zu gewinnen. Der Text soll ihr Motiv nach Anerkennung treffen, der AIDA-Formel folgen und einen Cliffhanger nutzen, der ihr Interesse für ein Gespräch mit uns weckt.“  

Marketing: Nicht nur für die Kunden
Das Know-how, um digitale Recruiting-Kanäle zu öffnen, ist meistens schon da – nur in der falschen Abteilung, nämlich im Marketing. Mit ein wenig Unterstützung von den Kollegen erhält die Personalgewinnung Zugriff auf effektive Tools und Methoden, um neue Bewerbungen zu generieren. So definiert beispielsweise Performance-Recruiting zunächst eine Zielgruppe, um sie anschließend über einen Werbebanner anzusprechen.

Folgt ein potenzieller Kandidat dem Link, gelangt er zu einer vorqualifizierenden Frage. Wird diese richtig beantwortet, wird er eingeladen, sich zu bewerben. Tut er das nicht sofort, wird er über sogenanntes Re-Targeting wieder und wieder an die Stelle erinnert. Und reicht oft irgendwann dann doch seine Bewerbung ein. Das Gute für den Recruiter: Wenn der Prozess einmal aufgesetzt ist, passiert das alles automatisch. 

Corporate Influencer
In Zeiten der immer höher werdenden Transparenz muss klar sein, dass eine gute Ansprache allein nicht mehr reicht! Wer gute Mitarbeiter anziehen möchte, muss sich als attraktiver Arbeitgeber platzieren. Das geht los beim Rating auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen wie Kununu oder Glassdoor und weiter über Arbeitgeber-Siegel wie Great Place To Work. Eine andere Möglichkeit bieten Mitarbeiter, die zur Zielgruppe gehören. Wenn sie in sozialen Medien Inhalte aus ihrem Arbeitsleben teilen, ziehen sie neue Talente an und bauen die Schwellenangst für deren Kontaktaufnahme ab. 

Wer nicht mit der Zeit geht, geht. Mit der Zeit.
Die Fähigkeit, passende Bewerber zu gewinnen, wird für Unternehmen zum kritischen Überlebensfaktor. Wenn sich die Zeiten ändern, das Recruiting aber stehen bleibt, darf es sich nicht wundern, wenn die Ergebnisse schlechter werden. Da es immer mehr Talente gibt, die potenziell wechselbereit sind, sich aber nicht aktiv bewerben, muss die Aktivität von den Betrieben ausgehen. Neben der Notwendigkeit, sich als attraktiver Arbeitgeber zu platzieren, erleichtern verschiedene Software-Lösungen die Suche nach neuen Teammitgliedern. Dazu gibt es auch nicht-digitale Methoden. Wichtig ist, einen individuellen Ansatz zu wählen, der zur Branche und den zu besetzenden Stellen passt. 

  1. https://www.personalwirtschaft.de/news/recruiting/dihk-fachkraeftemangel-kostet-100-milliarden-euro-146828/
  2. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/fachkreaftemangel-arbeitsplaetze-offene-stellen-101.html 
  3. https://onlinemarketing.de/karriere/human-resources/hiring-studie-37-prozent-offen-fuer-jobwechsel 
  4. https://www.haufe.de/thema/active-sourcing/ 

Das Buch zum Thema:

Christian Bernhardt

Echte Wertschätzung: 

Beziehungen stärken. Vertrauen vertiefen. Teams gemeinsam entwickeln.

300 Seiten, ab 24,95 Euro

ISBN: 978-3-86980-666-2

BusinessVillage Verlag, September 2022

New Hire Recruiting jenseits von post & pray 

Autor:

Christian Bernhardt ist Hochschuldozent für Kommunikationspsychologie, Autor, Berater und Speaker für Lösungen gegen den Fachkräftemangel. Bernhardt berät Unternehmen und hält Vorträge und Trainings in Deutschland und der Schweiz.

Fotograf/ Bildcredits: Dejan Jovanovic

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Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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