Berlin, 15. Aug (Reuters) – Steigende Inflation, schrumpfende Wirtschaft: Die ab Oktober geplante Einführung der Gasumlage hat Top-Ökonomen zufolge stark negative Folgen für die deutsche Konjunktur. „Zusammen mit dem auslaufenden Tankrabatt und dem Wegfall des Neun-Euro-Tickets kann der Anstieg der Gaspreise zu zweistelligen Inflationsraten im Herbst führen“, sagte der Regierungsberater und Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Jens Südekum, am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. „Das belastet die Konjunktur erheblich. Die Industrie drosselt die Produktion und Verbraucher fahren ihren Konsum zurück.“ Eine Rezession in der zweiten Jahreshälfte sei wahrscheinlich.
„Auf das Gesamtjahr 2023 bezogen, entzieht die Umlage den privaten Haushalten rund acht Milliarden Euro an Kaufkraft“, sagte der Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths. Das entspreche etwa 0,4 Prozent ihres verfügbaren Einkommens. Hinzu komme noch, dass auch die gewerblichen Abnehmer die Umlage zahlen, wodurch weitere Preisschübe angestoßen werden. „Die Größenordnungen sind gesamtwirtschaftlich bedeutsam, sie stellen aber auch keinen Konsum-Killer dar“, sagte Kooths.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet, dass die Inflationsrate, die zuletzt dank Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket auf 7,5 Prozent gefallen ist, im Oktober und November auf deutlich über neun Prozent steigen wird. „Das ist für die Verbraucher ein massiver Kaufkraftverlust“, sagte Kräner. „Das ist neben der Unsicherheit, die von Putins Nervenkrieg ums Gas ausgeht, ein wichtiges Argument, warum die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr schrumpfen, also in eine Rezession abgleiten sollte.“ Sie stehe vor einer schwierigen Zeit – auch wenn die Unternehmen recht widerstandsfähig seien, weil sie in den zurückliegenden 20 Jahren ihre Eigenkapitalquote deutlich erhöht hätten.
Die Gasumlage für alle Verbraucher ist auf 2,419 Cent pro Kilowattstunde festgelegt worden, wie die Gasnetzbetreiber-Tochter Trading Hub Europe bekanntgab. Damit kämen auf einen vierköpfigen Durchschnittshaushalt mit 20.000 Kilowattstunden Verbrauch rund 480 Euro Mehrbelastung ohne Mehrwertsteuer im Jahr zu. Das Geld wird zum schnellen Ausgleich von 90 Prozent der teuren Ersatz-Beschaffungskosten der Importeure für ausgefallene russische Lieferungen verwendet.
„EINMALZAHLUNGEN UND PREISDECKEL“
Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) fordert angesichts der steigenden Kosten, die Privathaushalte weiter zu entlasten. „Neben erneuten staatlichen Einmalzahlungen im Winter wäre es jetzt zielführend, den Vorschlag eines Preisdeckels für einen Grundverbrauch von Gas für die Privathaushalte schnell umzusetzen und am besten mit der Einführung der neuen Gasumlage in Kraft zu setzen“, sagte IMK-Direktor Sebastian Dullien. Ein solcher subventionierter Grundverbrauch würde zum einen die Haushalte entlasten, weil die Gasrechnung niedriger ausfiele, zum anderen die Inflationsrate spürbar dämpfen. „Außerdem würde bei diesem Vorschlag der Sparanreiz für die Haushalte voll intakt bleiben, weil für den Verbrauch oberhalb des Grundsockels weiter der volle Preis fällig wäre“, sagte Dullien.
Der Staat könne die hohen Energiepreise zwar nicht überall abfedern, sagte Ökonom Südekum. „Aber er kann zielgerichtet dort für Entlastung sorgen, wo es am nötigsten ist: bei den kleinen und mittleren Einkommen“, so der Düsseldorfer Experte. „Nötig wäre jetzt gezielte Umverteilung von oben nach unten, bis die Krise ausgestanden ist.“ Die Politik hätte parallel zur Umlage ein wirksames Entlastungspaket verkünden können. „Das wurde leider versäumt“, kritisierte der Regierungsberater.
Milliarden-Kaufkraftverlust durch Gasumlage
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