Berlin, 20. Okt – Die deutsche Logistikwirtschaft rechnet wegen der weltweiten Turbulenzen mit weitreichenden Veränderungen für die Branche. „So, wie es vor den derzeitigen Störungen in den Lieferketten war, wird es nicht mehr werden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bundesvereinigung Logistik (BVL), Thomas Wimmer, am Donnerstag beim Deutschen Logistik-Kongress in Berlin.
Die Kosten stünden nicht mehr so im Fokus. „Verfügbarkeit ist die neue Währung.“ Wichtig sei mehr Lagerhaltung. „Haben ist besser als brauchen“, sagte Wimmer. Die Lieferketten müssten widerstandsfähiger werden. Lokale Beschaffung sei möglich – also Lieferanten eher in der Nähe als in der Ferne zu suchen. „Aber einfacher wird es auch nicht“, betonte der BVL-Chef.
Angesichts der strikten Corona-Politik des wichtigen Handelspartners China erwarten viele Fachleute in den nächsten Monaten wenig Änderungen. Auch nach dem jüngsten Kongress der kommunistischen Partei in China sei keine Entspannung in Sicht, sagte China-Experte Thomas Heck vom Wirtschaftsprüfer PwC. Für die meisten dort tätigen Produktionsfirmen sei klar: „Sich von China abzukoppeln ist nicht möglich.“ Aas Risikobewusstsein mit Blick auf China sei aber größer geworden. Das Land werde von der Wirtschaft verstärkt als „systemischer Wettbewerber gesehen“.
Wirtschaftsvertreter räumen ein, dass sie bei ihrem China-Engagement umdenken müssen. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Risikoeinschätzung verändert. Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat eine härtere politische Gangart in Aussicht gestellt. Viele Firmen hatten sich bei der Globalisierung stark auf den schnell wachsenden Milliardenmarkt China konzentriert. Sie investieren massiv, China war Wachstumstreiber, als Geschäfte in Europa und Amerika schwächelten.
BVL: DEUTLICHE ENTSPANNUNG DER LIEFERKETTEN DAUERT NOCH
Materialknappheit bleibt für die Wirtschaft wohl vorerst ein Problem . „Ich sehe erst Mitte 2023 eine spürbare Erholung der Lieferketten“, etwa bei Elektronikteilen und Stahl, sagte Wimmer im Reuters-Interview. „Denn eine gestörte Lieferkette kann man nicht so einfach wiederherstellen.“ Steigende Kosten versuchten die Firmen an ihre Kunden weiterzureichen. „Wo der Verbraucher nicht mitspielt, muss man schauen, wie man es aufteilt“, sagte Wimmer. Betriebe versuchten oft, die Hälfte des Zuwachses über eine bessere Organisation abzufangen. „Das tut immer weh.“
Die Experten der Commerzbank kommen in ihrem Lieferketten-Monitor zu dem Schluss, dass sich die Probleme rund um Materialknappheit in den vergangenen Monaten etwas verringert haben. „Von einer durchgreifenden Entspannung kann aber noch längst keine Rede sein“, erklärte Analyst Christoph Balz. „Zudem schwebt weiterhin das Damoklesschwert einer Beeinträchtigung der Energieversorgung, insbesondere bei Gas, über der Wirtschaft.“
Die sogenannten Logistik-Weisen rechnen für 2022 mit einem nominalen Branchenwachstum von 8,5 Prozent, was vor allem auf steigende Kosten und Preise zurückzuführen sei. Die Wirtschaftsleistung klettere damit auf 319 Milliarden Euro. Inflationsbereinigt (real) sei aber nur ein Plus von 0,6 Prozent zu erwarten. Wegen der Unsicherheit wagt das Gremium noch keine Prognose für 2023.
Logistik knüpft neue Lieferketten – Entspannung erst 2023
Quelle: Reuters
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