Isjum/Berlin/Washington, 18. Sep – Nach der Entdeckung von Gräbern nahe der ukrainischen Stadt Isjum und Berichten über Folterspuren an Toten fordert Bundesverteidigungsministern Christine Lambrecht Untersuchungen durch die Vereinten Nationen (UN). „Diese furchtbaren Verbrechen müssen unbedingt aufgeklärt werden – am besten von den Vereinten Nationen“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe laut Vorabbericht vom Sonntag. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, ukrainische Ermittler hätten neue Beweise für Misshandlungen gefunden. Zudem seien in den zurückeroberten Gebieten in der Region Charkiw bereits mehr als zehn Folterstätten entdeckt worden. Russland hat sich zu den Gräbern bisher nicht geäußert, weist Gräueltaten aber von sich.
Die UN sollten schnellstmöglich Zugang bekommen, um Beweise zu sichern, sagte Lambrecht weiter. „Die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen müssen vor Gericht gestellt werden.“ In den von der ukrainischen Armee zurückeroberten Gebieten hatten sich in den vergangenen Tagen die Hinweise auf Kriegsverbrechen russischer Besatzer gemehrt. Nach ukrainischen Angaben handelt es sich bei den über 440 entdeckten Leichen überwiegend um Zivilisten. Woran sie gestorben sind, ist noch nicht ermittelt worden. Bewohnern zufolge wurden einige bei Luftangriffen getötet. Die ukrainischen Behörden haben erklärt, mindestens eine Leiche sei mit auf dem Rücken gefesselten Händen und Spuren eines Strangs im Nacken aufgefunden worden.
Vitaly Gantschew, der Chef der unlängst von ukrainischen Truppen aus der Region vertriebenen pro-russischen Verwaltung, warf der Ukraine eine Inszenierung vor. „Ich habe nichts über Grabstätten gehört“, sagte er dem staatlichen TV-Sender Rossija-24. Auch in dem Kiewer Vorort Butscha, in dem nach dem Abzug russischer Truppen Hinweise auf mögliche Kriegsverbrechen festgestellt worden waren, hatte die russische Seite von einer Inszenierung der Ukraine gesprochen.
Die ukrainische Truppen hatten bei ihrer jüngsten Gegenoffensive größere Gebiete zurückerobert, woraufhin einige Beobachter bereits einen Wendepunkt in dem seit fast sieben Monaten andauernden Krieg gekommen sahen. Ministerin Lambrecht sagte dazu, die Erfolge seien „sehr beeindruckend und ermutigend“, was nicht kleingeredet werden dürfe. „Aber zurückgeschlagen sind die russischen Truppen noch lange nicht.“ Lambrecht verteidigte wie am Samstag schon Bundeskanzler Olaf ScholzRead full story die Haltung der Bundesregierung, nicht im Alleingang über Kampfpanzer-Lieferungen zu entscheiden.
LAMBRECHT: „FURCHT IST KEIN GUTER BERATER IN SOLCHEN ZEITEN“
Auf die Frage, ob sie oder Kanzler Scholz bei der Lieferung von Kampfpanzern einen russischen Angriff auf Deutschland früchten, sagte Lambrecht: „Furcht ist ganz bestimmt kein guter Berater in solchen Zeiten. Weder Olaf Scholz noch ich sind furchtgeleitet. Es geht um Besonnenheit. Genauso agieren wir.“ Gefragt, ob sie einen russischen Angriff auf Deutschland für möglich halte, erklärte die Verteidigungsministerin: „Ich glaube nicht, dass es einen Automatismus gibt. Aber ich muss auch sagen: Bis zum 24. Februar haben sich auch viele nicht vorstellen können, dass Putin tatsächlich die Ukraine angreift.“
Russland war am 24. Februar in die benachbarte Ex-Sowjetrepublik einmarschiert und hat sein Vorgehen als Spezialoperation mit dem Ziel bezeichnet, militärische Kapazitäten zu zerstören sowie gegen als gefährlich eingestufte Nationalisten vorzugehen. Die Ukraine und ihre Verbündeten sprechen von einem Angriffskrieg. Nach der jüngsten Gegenoffensive ukrainischer Truppen hat Putin mit einer härteren Gangarg gedroht. Das hat Sorgen geschürt, Russland könnte letztlich auch Chemiewaffen oder taktische Atomwaffen einsetzen.
US-Präsident Joe Biden warnte Putin eindringlich für den Fall, dass er einen solchen Schritt in Erwägung ziehen sollte. „Tun Sie das nicht, tun Sie das nicht, tun Sie das nicht“, würde er Putin sagen, erklärte Biden auf die entsprechende Frage in einem am Samstag in Ausschnitten veröffentlichten Interview des Senders CBS. Russland würde sich damit in der Welt noch mehr zum „Geächteten“ machen als jemals zuvor.
Lambrecht plädiert nach Fund von Gräbern bei Isjum für UN-Ermittlungen
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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