Berlin, 22. Nov – Die von der Ampel-Koalition geplante Umwandlung von Hartz IV in ein Bürgergeld mit deutlich höheren Zahlungen kann wohl zum Jahresbeginn 2023 in Kraft treten. SPD, Grüne und FDP vereinbarten mit der oppositionellen Union einen Kompromiss, der am Dienstag dem Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat übermittelt wurde. Beide Seiten zeigten sich zuversichtlich, dass das Bund-Länder-Gremium am Mittwochabend zustimmt. Der Reuters vorliegende Vorschlag sieht schärfere Sanktionsmöglichkeiten gegen Leistungsbezieher, ein geringeres Schonvermögen und auf ein Jahr halbierte Karenzzeiten vor. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) bescheinigte der Koalition, sie gehe „überraschend weit“ auf die Union zu.
Die Koalition nahm für sich in Anspruch, dass die Reform im Kern erhalten bleibe. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, sprach von der größten Sozialreform seit 20 Jahren, also seit Beginn der mit dem Namen des einstigen VW-Arbeitsdirektors Peter Hartz verbundenen Arbeitsmarktreformen. „Hartz IV gehört damit der Geschichte an“, sagte Mast. Diese 2005 unter der damaligen rot-grünen Koalition eingeführte Grundsicherung mit dem Arbeitslosengeld II hatte zu langjährigen Zerwürfnissen innerhalb der Sozialdemokraten geführt.
Die Parlamentarischen Geschäftsführenden von Grünen und FDP, Britta Haßelmann und Johannes Vogel, unterstrichen ebenfalls die Reformansätze. Es gebe mit dem Bürgergeld eine „klare Orientierung auf Kooperation und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zwischen Leistungsbeziehern und Jobcentern, sagte Haßelmann. Mit der Abschaffung des Vorrangs einer Vermittlung in Arbeit werde stärker auf Qualifizierung und dauerhafte Beschäftigung gesetzt. „Mit dem Bürgergeld schaffen wir mehr Leistungsgerechtigkeit und Aufstiegschancen unabhängig von der Herkunft“, sagte Vogel. Er hob die besseren Zuverdienstmöglichkeiten hervor. Jungen Leuten etwa wird deutlich weniger von einer Ausbildungsvergütung abgezogen, wenn sie bei den Eltern leben und diese Bürgergeld beziehen.
VERTRAUENSZEIT FÄLLT – SCHONVERMÖGEN BEI 40.000 EURO
Wichtigstes Zugeständnis der Koalition aus Sicht der Union ist, dass auf die geplante Vertrauenszeit verzichtet wird. Diese sah vor, dass Bürgergeldbeziehende in den ersten sechs Monaten nach Abschluss eines Kooperationsplans selbst dann nicht mit Leistungskürzungen rechnen müssen, wenn sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen. Nur Terminverstöße sollten sanktioniert werden.
Merz verbuchte das Streichen der Vertrauenszeit als großen Erfolg. „Damit ist im Grunde der Kern des Bürgergeldes, so wie es die Koalition geplant hatte, gestrichen“, behauptete Merz. Es seien nun von Anfang an Sanktionen möglich. Sie lassen laut Vorschlag abgestufte Leistungskürzungen bis zu 30 Prozent zu.
Das bisher geplante Schonvermögen von 60.000 Euro für einen Bürgergeldbeziehenden plus 30.000 Euro für jede weitere Person im Haushalt wird auf 40.000 Euro und 15.000 Euro verringert. Diese Rücklagen müssen Bürgergeldbeziehende in der neuen Karenzzeit auch dann nicht antasten, wenn sie Hilfen beziehen. Die ursprünglich geplante Karenzzeit von zwei Jahren wird auf ein Jahr halbiert. In dieser Zeit wird auch die Angemessenheit der Wohnungsgröße bei voller Kostenübernahme nicht geprüft.
Wenn der Vermittlungsausschuss den Einigungsvorschlag am Mittwochabend beschließt, könnten Bundestag und Bundesrat noch in dieser Woche zustimmen. Die Reform könnte somit zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Einige Elemente werden erst schrittweise wirksam. Die Erhöhung der monatlichen Zahlungen greift aber ab Jahresanfang. Ein Alleinstehender erhält dann 502 Euro pro Monat zum Lebensunterhalt und damit 53 Euro mehr als derzeit. Auch die Zahlungen für Paare und Kinder werden angehoben. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hatte eine rechtzeitige Auszahlung der Erhöhungen zum Jahresbeginn zugesagt, wenn die Reform bis Ende November beschlossen sei. Die Bundesregierung hatte am Montag voriger Woche den Vermittlungsausschuss angerufen, nachdem die Union eine Zustimmung im Bundesrat blockiert hatte.
Koalition und Union einigen sich beim Bürgergeld
Quelle: Reuters
Titelfoto: Bild von Ralph auf Pixabay
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