Eine unbeabsichtigte Folge einer Steuergutschrift unter dem Namen „Superbonus“, die während der Pandemie aufgesetzt wurde, hat die italienische Schuldenquote erneut in die Höhe getrieben. Dies erfolgt in einem Umfeld zunehmender Sorgen der Anleger um die Tragfähigkeit öffentlicher Finanzen, wie das britische Mini-Haushaltsdebakel im Jahr 2022 und die kürzlich angekündigten vorgezogenen Neuwahlen in Frankreich zeigen. Im Herbst werden eine Reihe von Ereignissen folgen, die den Appetit der Märkte auf italienische Staatsanleihen auf die Probe stellen könnten.
Trotz dieser Belastungen sehen wir die Aussichten für Italien weiterhin positiv, da die von der EU aufgestellten Kriterien und die jüngsten Verbesserungen auf der Angebotsseite mit unserer früheren Einschätzung zur Schuldentragfähigkeit Italiens übereinstimmen. Allerdings bleiben das italienische BIP-Wachstum und die Einigkeit der EU die wichtigsten Einflussfaktoren für die mittelfristigen Aussichten des Landes.
Während die bevorstehenden Ereignisse in Frankreich die Aufmerksamkeit der Anleger in den kommenden Wochen auf sich ziehen werden, werden die Auswirkungen des Superbonus mit bevorstehenden politischen Ereignissen kollidieren, die die Märkte in der zweiten Jahreshälfte weiter verunsichern könnten. Zunächst einmal hat die italienische Regierung die Veröffentlichung ihrer Haushaltspläne auf Herbst 2024 verschoben, wodurch die Pläne zur Bewältigung der Schuldentragfähigkeit des Landes noch genauer unter die Lupe genommen werden.
Dies wird die erste große Bewährungsprobe für Italiens Premierministerin Meloni darstellen. Entgegen den Erwartungen könnte sich das Wachstum Italiens verlangsamen aufgrund der Auswirkungen der anstehenden Haushaltsentscheidungen oder der nachlassenden wirtschaftlichen Auswirkungen des Superbonus, was möglicherweise etwaige zugrunde liegende Schwachstellen offenbart. Der Druck auf Meloni, und jegliche Anzeichen politischer Anfälligkeit inmitten einer schwächelnden Wirtschaft, könnte eine Zunahme der Anti-EU-Rhetorik anderer italienischer Rechtsparteien, wie der Lega, auslösen.
Ungewisse Auswirkungen der EZB-Schuldenunterstützung
Und dann ist da noch die EZB, die seit Jahren verschiedene Formen der Unterstützung für europäische Staatsschulden bereitstellt. Eine dieser Formen, die Reinvestitionen im Rahmen ihres Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP), wird ab dem dritten Quartal auslaufen und bis zum Jahresende beendet sein. Wenn die EZB sich zurückzieht, werden die Märkte ein außergewöhnlich großes Volumen an italienischen Anleihen aufnehmen müssen. Der Barfinanzierungsbedarf Italiens beläuft sich derzeit auf rund 150 Mrd. EUR und dürfte in den nächsten Jahren deutlich höher sein als der Durchschnittswert vor der Pandemie von rund 50 Mrd. EUR.
Die Einzelheiten einer anderen Form der Unterstützung, des Transmissionsschutzinstruments (TPI) der EZB, bleiben vage und müssen erst noch getestet werden, was zu einer gewissen Marktunsicherheit führen könnte, sollte es zum Einsatz kommen. Und obwohl sich die EZB-Zinsen für Italien in die richtige Richtung bewegen, werden sie möglicherweise nicht so stark oder so schnell wie erwartet gesenkt, was das Land bei der Bedienung seiner Altschulden zusätzlich unter Druck setzt.
Mögliche Maßnahmen bei anhaltenden Unsicherheiten der französischen Wahlen
Unser längerfristiges Argument für Optimismus beginnt mit der grundlegenden Prämisse, dass sich Italien in einer ganz anderen Ausgangsposition befindet als in früheren Phasen der EU-Volatilität. Zum einen war die italienische Politik relativ stabil und weniger kämpferisch, wenn es um die Europäische Union ging, insbesondere inmitten der greifbaren Vorteile der EU-Leitlinien. In der Tat haben hochrangige italienische Politiker ihre Bereitschaft signalisiert, die EU-Fiskalregeln einzuhalten, die im Laufe dieses Jahres wieder in Kraft treten sollen (sie wurden aufgrund von COVID und Russlands Invasion in der Ukraine ausgesetzt). Während Italien unter das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (EPD bzw. VÜD) fallen wird, schafft der geänderte EU-Rahmen gleichzeitig mehr fiskalischen Spielraum für Länder, die unter das VÜD fallen.
Außerdem kommt Italien auch weiterhin für das noch nicht getestete TPI-Programm der EZB in Frage, dessen Auslöser unbestimmt sind, da es „aktiviert werden kann, um einer ungeordneten Marktdynamik entgegenzuwirken“ (z. B. einer übermäßigen Ausweitung der italienischen Spreads gegenüber Bundesanleihen). Zu den Vorteilen des TPI gehört außerdem sein Einsatz in Szenarien, in denen sich die Renditenaufschläge aufgrund von Ereignissen ausweiten, die außerhalb der Kontrolle des Staates liegen, was den Anlegern zusätzliche Sicherheit in Bezug auf ein geringeres Ansteckungsrisiko bietet. Im Falle einer anhaltenden Unsicherheit bei den französischen Wahlen, die auf Italien übergreift, könnte der TPI beispielsweise eingesetzt werden, um das Risiko einer weiteren Ausweitung der italienischen Spreads zu mindern.
Nach der erheblichen Defizitkorrektur Italiens wird die Haushaltsseite weiterhin genau überwacht werden, da die Regierung signalisiert hat, dass sie an dem Haushaltsdefizit von 4,3 % für 2024 festhält, was die schwierigen Entscheidungen unterstreicht, die vor Premierministerin Meloni liegen. Dennoch könnte das Land endlich eine Atempause in Bezug auf den Superbonus erfahren. Die Anspruchsvoraussetzungen für den Superbonus wurden nämlich verschärft, und die Daten für April zeigen einen starken Rückgang der beantragten Steuergutschriften. Ein (kleiner) Teil der Steuergutschriften könnte auch umstrukturiert werden, um die Auswirkungen auf die Schuldenquote zu mildern. Was die Fördermittel angeht, so sind dieses und das nächste Jahr die Spitzenjahre für die Auszahlung der Next-Gen-EU-Mittel, und es gibt keine Anzeichen für nennenswerte Verzögerungen oder Risiken bei den Auszahlungen.
Insgesamt Verbesserungen und positiver Ausblick
Auch wenn die beschriebenen Risiken bestehen, bleiben die wichtigsten Faktoren für Italiens Schuldentragfähigkeit das BIP-Wachstum und die Einheit der EU, wobei letztere durch die neuen EU-Fiskalregeln, die NextGen EU-Finanzierung und die EZB unterstützt wird. Der Ausgangspunkt für Italiens Schuldenquote hat sich ebenfalls verbessert, und jeder weitere Wachstumsimpuls durch den Superbonus könnte zu einer Aufwärtskorrektur des Wachstums in diesem Jahr führen. Und obwohl ein Risiko einer Abschwächung des Wachstums vorliegt, sobald die Auswirkungen des Superbonus nachlassen, haben sich in den letzten Jahren neben dem Bausektor auch die Exporte und die Dienstleistungen als bemerkenswerte Wachstumsmotoren erwiesen. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass sich das Angebotspotenzial Italiens verbessert hat, da die Erwerbsbeteiligung gestiegen ist und die Arbeitslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit mehreren Jahrzehnten liegt.
Marktkommentar von Katharine Neiss, Chief European Economist bei PGIM Fixed Income
Bild Foto von Katharine Neiss Quelle: PGIM Fixed Income
Quelle TE Communications GmbH