Samstag, November 16, 2024
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Hintergrund: Schöffenwahl – Demokratie und Rechtsstaat Fallstricke für Extremisten

Berlin, 16. Mrz – Die Kleinstpartei „Freie Sachsen“ schreibt auf ihrer Website vom „Gender-Wahn“ und der „Asyl-Welle“ und bezeichnet die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie als „kriminell“. Anfang des Jahres rief die rechtsextremistische Gruppierung ihre Unterstützer dazu auf, als Schöffen zu kandidieren. „Rechte Gruppen versuchen seit 2014, ihre Unterstützer auf sozialen Medien zur Bewerbung als Schöffenrichter zu animieren“, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, Andreas Höhne. 

Bei der letzten Schöffenwahl 2018 hatten etwa die NPD und der Kreisverband Wuppertal der Partei Die Rechte zur Kandidatur aufgerufen. Auch aus linksextremen Kreisen kommen Aufrufe. So bewarb im Februar die im „Querdenker“-Milieu angesiedelte und russlandfreundliche Gruppierung „Freie Linke“ auf Twitter die Schöffenwahl damit, dass „grünbraune Gesinnungsjustiz“ und „Cancel-Culture-Justiz“ verhindert werden müssten. 

In diesem Jahr werden alle Schöffenposten für den Zeitraum von 2024 bis 2028 neu besetzt. Dem Bundesjustizministerium zufolge waren am 1. Januar 2019 insgesamt 38.410 Schöffenrichter berufen. Es müssen mindestens doppelt so viele Personen kandidieren, wie es Plätze zu besetzen gilt. Die Fristen variieren je nach Kommune, die eine Vorschlagsliste erstellt und an das zuständige Amtsgericht übermittelt. Dort beschließt ein Wahlausschuss, wer künftig als Schöffe eingesetzt wird. Schöffenrichter sind Laien im Alter zwischen 25 und 69 Jahren. Sie entscheiden über Schuld und Strafmaß und können sogar den Berufsrichter überstimmen.

Die Bemühungen der „Freien Sachsen“ sind auch dem Nachrichtendienst im Freistaat nicht entgangen. Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz teilte auf Anfrage mit, dass die rechtsextremistische Organisation auf ihrem Telegramkanal dazu aufrufe, sich als Schöffe zu bewerben. In Mecklenburg-Vorpommern gab es dem dortigen Verfassungsschutz zufolge 2018 derartige Initiativen, für die laufende Schöffenwahl sei aber nichts bekannt. Klaus-Michael Glaser arbeitet als Referent für den Städte- und Gemeindetag des nordöstlichen Bundeslandes. Er kennt das Problem rechter Mobilmachung, betont aber die Wachsamkeit der verfassungstreuen Personen, die am Schöffen-Nominierungsprozess beteiligt sind. 

„Gerade im ländlichen Raum sind die Kandidierenden in der Gemeinde oder beim Wahlausschuss im Amtsgericht oft persönlich bekannt“, erklärte Glaser. Die Zusammensetzung des Ausschusses beeinflusst, wer eine Chance bekommt, das Schöffenamt auszuüben. Am Amtsgericht Ludwigslust haben daher Kommunalpolitiker einen AfD-Vertreter als Ausschussmitglied ausdrücklich abgelehnt, so Glaser. Ein Sprecher der AfD sagte Reuters, die Partei rufe nicht zur Schöffen-Kandidatur auf. Ihm sei auch nicht bekannt, dass dies durch einzelne AfD-Politiker erfolge.

RECHTSEXTREME SCHÖFFEN IN DER MINDERHEIT

„In Gemeinden, in denen 35 Prozent AfD gewählt wird, ist es möglich, dass es AfD-nahe Schöffen gibt“, sagt der Verbandsvorsitzende Höhne. „Aber wir können mit den Mitteln des Rechtsstaates gegen extremistische Richter vorgehen.“ So sei es immer eine Option, Befangenheitsanträge zu stellen, oder das nächsthöhere Gericht anzurufen. Weiterhin schränkt das Mehrheitsprinzip vor Gericht den Gestaltungsspielraum möglicher extremistischer Richter ein. Um den Berufsrichter zu überstimmen, müsste der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass beide Schöffen im selben Prozess verfassungsfeindlich eingestellt sind. 

Mit der Sorge vor einer solchen rechten Einflussnahme melden sich auch Anrufer bei dem bayrischen Landesvorsitzenden des Bundesverbands, Alexander Bauer. „Mehrere Interessenten haben am Telefon von Kandidaturaufrufen aus dem rechten Spektrum berichtet. Sie wollen sich bewerben, um ein Gegengewicht darzustellen und im Schöffenamt eine freiheitlich-demokratische Basis zu bilden.“

Lena Cramer vom Gemeindeverband Wesendorf in Niedersachsen beobachtet Ähnliches. Bei ihr seien „unheimlich viele“ Bewerbungen eingegangen, und einige Kandidierende schrieben in ihrer Begründung, dass sie das Schöffenamt nicht den Extremisten überlassen wollten. In Wesendorf erzielte die AfD bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr ihr bestes Ergebnis in ganz Niedersachsen. 

Michael Haßdenteufel vom Landesverband Nordrhein-Westfalen und Michael Schmädecke aus Niedersachsen halten die Aufregung um Rechtsextremismus bei der Schöffenwahl für übertrieben. „Diese Diskussion gab es bereits 2018, und damals ist auch nichts passiert“, sagte Haßdenteufel. Die gerichtlichen Abläufe seien so strukturiert, dass es Verfassungsfeinden kaum möglich sei, an diesem Schauplatz ihre Gesinnung durchzusetzen. Schmädecke wählte noch klarere Worte: „Alle fünf Jahre wird diese Sau durch’s Dorf getrieben. Ich finde, das ist blinder Aktionismus“. 

Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht dennoch vor, die Pflicht zur Verfassungstreue ehrenamtlicher Richter gesetzlich zu verankern. In Bayern wird laut Landesamt für Verfassungsschutz geprüft, inwieweit es möglich wäre, die Behörde an der Auswahl der ehrenamtlichen Richter zu beteiligen. Auf dem bayrischen Bewerbungsformular werden potenzielle Laienrichter bereits gefragt, ob sie einer extremistischen Organisation angehören oder diese unterstützen.

Ob die Angaben dort wahrheitsgemäß eingetragen würden, sei natürlich die Frage, gibt Alfons Kuhn zu bedenken, der beim Landesverband Bayern für die Weiterbildung der Schöffen zuständig ist. „Die Schwierigkeit liegt darin, solche Personen überhaupt zu erkennen. Man ist mehr oder weniger darauf angewiesen, dass sie sich in sozialen Netzwerken entsprechend äußern.“ 

Hintergrund: Schöffenwahl – Demokratie und Rechtsstaat Fallstricke für Extremisten

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von scholacantorum auf Pixabay

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