Freitag, April 26, 2024
StartUkraineHintergrund: Putin stellt sich auf langen und erschöpfenden Krieg ein

Hintergrund: Putin stellt sich auf langen und erschöpfenden Krieg ein

24. Feb – Einen Wendepunkt hat der russische Präsident Wladimir Putin die Invasion der Ukraine genannt. Einen raschen Sieg bei dem von ihm so bezeichneten militärischen Sondereinsatz hat er in Aussicht gestellt. Eine Lektion über die Renaissance Russlands wollte er dem Westen erteilen und sich einen Platz in der Geschichte neben den Zaren sichern. Ein Jahr ist das her, und es ist klar: Putin lag falsch, und Russland zahlt einen hohen Preis.

In dem Krieg, den Russland auf Putins Befehl am 24. Februar 2022 begann, wurden Hunderttausende Menschen getötet oder verletzt. Russland ist im Westen verschrien als Aggressor. Das Land und viele seiner herausragenden Unternehmer und Politiker sind mit Sanktionen belegt. Die russische Armee sieht sich einem unerwarteten Widerstand der Ukraine gegenüber, der von der Nato mit Waffen unterstützt wird. Statt einer raschen Einnahme der ukrainischen Hauptstadt zu Beginn der Invasion folgte der schmachvolle Rückzug der russischen Truppen vor den Toren Kiews.

Putins Hoffnung, sein Image zu polieren, seien zunichtegemacht worden, sagt ein russischer Insider, der Kenntnisse der Entscheidungsfindung in der Führung hat und sich nur unter der Bedingung der Anonymität äußert. „In Zukunft wird es sowohl für die Ukraine als auch für Russland noch schwieriger und teurer. Wirtschaftliche Verluste dieser Größenordnung sind ein paar eroberte Gebiete nicht wert.“ Er sei überzeugt, dass viele in der russischen Elite seine Ansicht teilten, sagt der Insider. Dies öffentlich zu äußern wage aber niemand.

Allen von Putin ausgelösten geopolitischen Schockwellen zum Trotz gibt es fünf hochrangigen russischen Insidern zufolge keinen ernstzunehmenden Konkurrenten um die Macht. Und da öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten unterdrückt werden, hat der 70-Jährige keinen Grund, um seine Wiederwahl als Präsident im März 2024 zu bangen.

Allerdings dürften die wirtschaftlichen, politischen und strategischen Folgen des Krieges noch geraume Zeit nachwirken. „Ich glaube nicht an eine große Offensive oder an die Möglichkeit eines russischen Sieges gegen die gesamte zivilisierte Welt“, sagt ein zweiter Insider aus dem engen Umfeld der russischen Führung. Russland sei sowohl hinsichtlich der Militärtechnologie als auch der Motivation im Nachteil. Aber der Krieg werde noch „sehr lange“ dauern.

„KEINE ALTERNATIVE ZU PUTIN“

„Wir befinden uns in einer absolut paradoxen Situation“, sagt Igor Girkin, einer der wenigen bislang tolerierten Kritiker, der früher russische Einheiten in der Ostukraine befehligte und sich massiv für den Krieg einsetzt. „Wir haben eine völlig unfähige Führung, die direkt von einem Präsidenten gebildet wird, der unveränderlich und alternativlos ist. Aber ein Präsidentenwechsel würde zu einer schnellen Katastrophe führen.“ Für Girkin hieße das: militärische Niederlage, Bürgerkrieg, Unterwerfung Russlands. Der Nationalist äußert sich frustriert über den Militäreinsatz in der Ukraine. Offen kritisiert er die Geheimhaltung, eine schlechte Kommunikation und eine ineffektive Kommandostruktur, die zu einer ganzen Reihe demütigender militärischer Niederlagen Russlands führten.

Auch jenseits des Schlachtfeldes zahlt Russland einen hohen Preis für den unerwartet langwierigen und verlustreichen Krieg. Im vergangenen Herbst sah sich Putin gezwungen, eine Teilmobilmachung anzuordnen. 300.000 Reservisten – meist junge erwerbstätige Männer – wurden einberufen. Hunderttausende flohen vor dem Befehl und dem Kriegseinsatz ins Ausland.

RUSSLAND ZAHLT HOHEN PREIS 

Russland hat einen großen Teil des europäischen Gasmarktes verloren, den es in Jahrzehnten erobert hatte. Die Ölproduktion stieg im vergangenen Jahr. Aber die Regierung hat bereits eine Kürzung für März angekündigt – wohl als Reaktion auf die vom Westen beschlossene Preisobergrenze für raffinierte Produkte aus Russland. Westliche Firmen und Investoren haben sich aus Russland zurückgezogen. Um sein Öl zu verkaufen und Investoren anzulocken, umwirbt die russische Führung nun China, den einstigen Erzrivalen.

Russlands Wirtschaft im Volumen von 2,1 Billionen Dollar wird 2023 laut Internationalem Währungsfonds um 0,3 Prozent wachsen. Der Leistungsbilanzüberschuss schrumpft, das Haushaltsdefizit wächst. Doch wenn Russlands Wirtschaftsbosse – darunter viele frühere KGB-Kollegen Putins – Kritik äußern, dann tun sie dies allenfalls unter vier Augen.

Viel hängt davon ab, wie sich die Lage auf dem Schlachtfeld entwickelt, wo sich die Frontlinie über 850 Kilometer erstreckt. Putin könnte letztlich auf Zeit setzen, sagt der Chef des US-Geheimdienstes CIA, William Burns, ein früherer US-Botschafter in Moskau. „Die nächsten sechs Monate, so scheint es mir, und das ist unsere Einschätzung bei der CIA, werden kritisch“, sagt Burns Anfang Februar. Die Realität des Schlachtfeldes werde Putins Hybris durchbohren. Denn es zeige sich, dass seine Armee nicht vorrücken, sondern nur erobertes Gebiet verlieren könne.

Einige in der russischen Elite sind anderer Auffassung. „Der Präsident glaubt, dass er in der Ukraine gewinnen kann“, sagt ein Insider. „Er kann den Krieg natürlich nicht verlieren. Der Sieg wird unser sein.“ Es gibt wenig Anlass zu der Annahme, dass der Krieg bald enden wird, zumal die Ukraine sich zum Ziel gesetzt hat, alle besetzten Gebiete zurückzuerobern – inklusive der 2014 annektierten Krim. „Putin wird bis zum Ende an der Macht bleiben, es sei denn, er stirbt oder es kommt zu einem Putsch – und beides ist derzeit nicht wahrscheinlich“, sagt ein hochrangiger westlicher Diplomat. „Putin kann den Krieg nicht gewinnen, aber er weiß, dass er ihn auch nicht verlieren darf.“

Hintergrund: Putin stellt sich auf langen und erschöpfenden Krieg ein

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von falco auf Pixabay

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