Berlin, 26. Mrz – Auf den ersten Blick wirkt es, als ob die Sehnsucht von Kanzler Olaf Scholz nach seinen Kabinettskollegen grenzenlos ist: Wenn er am Montag in den Regierungs-Airbus steigt, um nach Rotterdam zu fliegen, hat Scholz wie am Wochenende zuvor schon wieder das halbe Kabinett mit an Bord. Und mit Vizekanzler Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner und Außenministerin Annalena Baerbock wird er zuvor auch noch die halbe Nacht von Sonntag auf Montag im Koalitionsausschuss verbringen.
Doch hinter den Aktionen steckt weniger Sehnsucht als vielmehr eine ganz gezielte Strategie des Kanzlers: Mit der Anreise des halben Kabinetts sollen die Kontakte mit bestimmten Ländern bewusst aufgewertet werden – sie werden quasi als „besonders beste Freunde“ Deutschlands ausgezeichnet.
Dazu dient das Instrument der bilateralen Regierungskonsultationen, das schon seine Vorgängerin Angela Merkel massiv ausgebaut hatte. Die Idee: Anders als beim Besuch einer Ministerin oder des Regierungschefs sollen die bilateralen Beziehungen in der Breite ausgebaut werden. Das soll die besondere Wertschätzung zeigen. Und schon Merkel merkte, dass sie als Kanzlerin alleine nicht viel bewegen kann: Im deutschen Regierungssystem sind die Ressorts viel zu eigenständig, um alle Wünsche des Kanzleramtes umzusetzen – vor allem wenn sie von anderen Parteien geführt werden.
Aber wenn das Kanzleramt zu einer gemeinsamen Reise aufruft, müssen die Minister meistens folgen. Zudem sorgen die spöttisch auch „Klassenausflüge“ genannten gemeinsamen Reisen durchaus dafür, dass sich Koalitionspartner in einer anderen Umgebung besser verstehen lernen, also im besten Fall eine Art Gruppentherapie stattfindet.
Mittlerweile haben wechselnde Bundesregierungen etwa mit Brasilien, China, Frankreich, Indien, Israel, Italien, Niederlande, Polen, Russland, Spanien und der Türkei Regierungskonsultationen abgehalten – und seit letztem Wochenende auch mit Japan. Tatsächlich ist das Format so attraktiv, dass nach Angaben aus Regierungskreisen hinter den Kulissen viele Staaten anklopfen und bitten, ob Berlin nicht auch mit ihnen solch intensive Kontakte pflegen könnte. Doch damit fangen die Probleme auch schon an.
REGIERUNGSAPPARAT AN DER KANDARE
Denn erstens sind diese Regierungskonsultationen zeitlich sehr aufwendig. Eine ganze Reihe von Kabinettsmitgliedern wird teilweise wie in Japan für Tage gebunden und muss sich hinter dem Kanzler einreihen – darunter Habeck, Lindner und Baerbock, die ohnehin eine Fülle an eigenen Terminen haben. Aber der Kanzler, so heißt es, könne schlecht nur mit der Familien-, Bau- und Entwicklungsministerin reisen. Dann verpufft das gewünschte Signal einer Aufwertung der bilateralen Beziehung sofort.
Im Falle Japans klappt die Organisation nur, weil Scholz auf das Wochenende auswich – was neue Konflikte mit Kabinettsmitglieder nach sich zieht, die Kinder bzw. Familie haben. Bereits nach eineinhalb Jahren Ampel-Regierung wird in der Minister- und Ministerinnenriege über die Scholz-Inflation der Regierungskonsultationen gemurrt. „Es sind ja nicht nur die Besuche an sich: Solche Termine müssen auf verschiedenen Ebenen wochenlang vor- und nachbereitet werden“, sagt ein Ministeriumsvertreter.
Dazu kommt, dass sich die bilateralen Verhältnisse ändern können und der Entzug der Gunst politisch heikel ist. Mit Russland etwa finden seit 2012 keine Regierungskonsultationen mehr statt, weil Merkel sie nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim nicht mehr wollte. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wiederum machte bei seinem Deutschland-Besuch gerade die Erfahrung, dass die Lust im Kanzleramt auf erneute Regierungskonsultationen mit der umstrittenen nationalistisch-religiösen Regierung in Jerusalem gering ist. In der Pressekonferenz wünschte nur Netanjahu neue Konsultationen – Scholz schwieg dazu vielsagend. Und mit der Türkei fanden die letzten bilateralen Sondertreffen zuletzt 2016 statt.
Mit der Supermacht China wird dies anders sein, obwohl sich die Streitpunkte auch mit Peking häufen. Beide Regierungen bereiten sich auf neue Regierungskonsultationen in Deutschland vor, die wahrscheinlich im Frühsommer stattfinden dürften. Daran ändert auch die vor allem von den Grünen und der FDP gewünschte stärkere Abgrenzung von Peking nichts. China ist als wichtigster Handelspartner schlicht zu wichtig, als dass die Sondertreffen ohne politischen Flurschaden eingestellt werden könnten.
Einen Sonderfall bilden übrigens die engsten Partner: Die USA wollten Regierungskonsultationen mit Deutschland bisher nicht, schon weil auch sie dann ein Problem hätten, sie anderen zu verweigern. Umgekehrt wird Frankreich als engster deutscher Partner dadurch herausgestellt, dass mit Paris seit 2003 gemeinsame Ministerräte stattfinden – mit den gesamten Kabinetten beider Länder.
Allerdings musste die Ampel die Sonderbedeutung der deutsch-französischen Beziehungen erst noch schmerzhaft lernen: Der ursprünglich für Oktober 2022 vorgesehene Ministerrat musste zur Verärgerung der französischen Regierung abgesagt werden, weil nach Informationen von Reuters aus Regierungskreisen damals gleich vier deutsche Minister und Ministerinnen Herbstferien eingeplant hatten.
Hintergrund: Besonders beste Freunde – Flut an Regierungskonsultationen
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Achim Scholty auf Pixabay
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