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Samstag, April 1, 2023

Grünen-Regie erwartet auf Parteitag keine Querschüsse

Expertenmeinungen

Berlin, 12. Okt – Erstmals seit drei Jahren stellt sich die Grünen-Führungsriege wieder einem Parteitag, bei dem die etwa 800 Delegierten vor Ort sind – ein „Bundesparteitag in echt“, freut sich Co-Parteichef Omid Nouripour. Auf der dreitägigen Konferenz von Freitag bis Sonntag in Bonn stehen keine Wahlen der Parteispitze an, Nouripour und Co-Parteichefin Ricarda Lang sind erst seit Januar im Amt.

Und doch werden kontroverse Debatten erwartet, wie sie bei den Grünen üblich und von der Parteiführung durchaus erwünscht sind. „Die Partei braucht Debatten und Debattenräume“, sagte Bundesgeschäftsführerin Emily Büning am Mittwoch. Zündstoff liefern dürfte der längere Betrieb von Atommeilern, der gleich am Freitagabend zur Sprache kommt – aber auch Rüstungsexporte an Saudi-Arabien und der Kohleausstieg.

Kaum in der Bundesregierung, musste die vor über 40 Jahren aus der Friedens-, Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung hervorgegangene Partei durch den Ukraine-Krieg Entscheidungen mittragen, die sich in keinem Grünen-Programm fanden: Sondervermögen für die Bundeswehr, Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, Reaktivierung von Kohlekraftwerken, längerer Betrieb von Atomkraftwerken.

In der Partei hadern zwar viele mit manchen Beschlüssen, dies werde auch auf dem Parteitag deutlich werden, heißt es vielerorts. Schwerer wiege aber der Anspruch, in einer von Krisen bestimmten Zeit Lösungen anzubieten. „Alle haben entschieden, sich dem Schmutz und Dreck des Alltags zu stellen, mit allen schwierigen Kompromissen“, sagte ein Mitglied der Bundestagsfraktion.

Von einem Kurs- oder Richtungswechsel wollen die wenigsten in der Partei sprechen. Waffenlieferungen in die Ukraine und damit in ein Kriegsgebiet seien ein Schwenk, aber keine Änderung der Haltung. Mit der Ukraine werde eine Demokratie angegriffen, dort werde die europäische Friedensordnung verteidigt, die Bevölkerung müsse vor Menschenrechtsverletzungen durch russische Streitkräfte geschützt werden. „Das halte ich für moralisch glasklar“, sagte eine Bundestagsabgeordnete vom linken Flügel.

Aufgebracht reagieren viele auf vom Bundessicherheitsrat genehmigte Rüstungsexporte für Saudi-Arabien, trotz eines im Koalitionsvertrag festgehaltenen Exportstopps an Länder, die wie das Königreich am Jemen-Krieg beteiligt sind. Das vom Grünen Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium rechtfertigt dies damit, dass es sich bei den Munitionslieferungen für Kampfjets um Gemeinschaftsprojekte mit Italien, Spanien und Großbritannien handele – Deutschland daher nicht ausscheren könne.

„Das wird auf jeden Fall auf dem Parteitag eine Rolle spielen“, sagte eine Abgeordnete. Thema wird dies am Samstag, wenn auch Außenministerin Annalena Baerbock zur Debatte über „Friedens- und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende“ erwartet wird. In einem Dringlichkeitsantrag der Basis werden die Regierungsmitglieder der Grünen aufgefordert, in der Koalition einen Widerruf der Exportgenehmigung durchzusetzen – andernfalls solle der Kanzler die Vertrauensfrage stellen.

GRÜNE MONIEREN FOULSPIEL DER KOALITIONSPARTNER

Die Erfolgsaussichten dieses Antrags werden als gering eingeschätzt, zumal die Parteiführung laut Büning „in intensiven Gesprächen“ mit den Antragsstellern ist. „Wir sind da, glaube ich, auf einem guten Weg der Einigung.“ Querschüsse der Basis gegen die Regierungsmannschaft rund um Habeck und Baerbock erwartet Büning generell nicht. Sie nehme „eine große Geschlossenheit und eine große Unterstützung für die Arbeit“ der Minister und Ministerinnen wahr. „Und entsprechend erwarte ich jetzt nicht, dass wir hier grundlegende Positions-Veränderungen haben oder grundlegende Kritik.“

Dies soll auch gelten für die Debatte über einen längeren Betrieb der beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar II und Neckarwestheim, für die Habeck per Gesetzesänderung einen Weiterbetrieb bis ins Frühjahr 2023 ermöglichen will – um im Winter notfalls das Stromnetz zu stabilisieren. Die FDP tritt noch auf die Bremse, sie fordert, auch den Atommeiler Emsland über das Jahresende hinaus in Betrieb zu lassen. Das lehnen die Grünen ab. „Die rote Linie für uns ist ganz klar“, sagte Büning. „Wir wollen keine neuen Brennelemente.“ 

Dass die Grünen im Bund in Umfragen deutlich nachgaben und auch Habeck an Popularität verlor, wird vor allem den Koalitionspartnern zugeschrieben. Auslöser sei die Gasumlage gewesen, die bei den Grünen niemand gewollt habe, auf die Habeck sich aber eingelassen habe, weil Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) für eine andere Lösung zunächst kein Geld hätten bereitstellen wollen. „Er hat in einer Drucksituation genommen, was einigungsfähig war“, sagte ein Mitglied der Bundestagsfraktion. „Das Foulspiel der anderen war, dies als alleinige Idee von Robert Habeck zu verkaufen. Das war auch die Absicht von SPD und FDP. Darauf müssen wir uns besser einstellen.“

Andere in der Partei sehen durchaus auch Fehler in den eigenen Reihen. Bei Unterstützern von Habeck heißt es: „Er hat Fehler gemacht.“ Sein größter Fehler sei es gewesen, sich in der Debatte um den befristeten Weiterbetrieb der AKW auf einen Kompromiss einzulassen, der ihm von der Führung der Bundestagsfraktion aufgezwungen worden sei. „Er hätte dem Streckbetrieb von vorneherein zugestimmt, aber die Fraktion hat das durchkreuzt“, sagte ein Grünen-Strippenzieher im Hintergrund. Das sei an das Image des Mannes gegangen, der erklärtermaßen die Interessen des Landes und nicht der Partei im Blick habe: „Das roch zu sehr nach Parteipolitik.“

Grünen-Regie erwartet auf Parteitag keine Querschüsse

Quelle: Reuters

Titelfoto: Symbolfoto

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