Freitag, April 19, 2024
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„Gleichstellung kann nicht erst in der Vorstandsetage anfangen“

Am 8. März 2023 ist wieder Internationaler Frauentag. Weltweit werden damit auf Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter aufmerksam gemacht. Der Tag soll die bisherigen Errungenschaften der Frauenrechtsbewegung würdigen und dabei die Aufmerksamkeit auf immer noch bestehende Diskriminierungen und Ungleichheiten lenken. Lesen Sie hier dazu zwei Kommentare von Miranda Beacham, Head of ESG – Equity und Multi-Assets bei Aegon Asset Management und von Martina Hoffard, Head of Marketing, Spectrum Markets:

  1. Die besten Unternehmen achten darauf, wie sie von mehr Diversität profitieren können

Von Miranda Beacham, Head of ESG – Equity und Multi-Assets bei Aegon Asset Management

Gleichstellung
Foto: Miranda Beacham (Quelle: Aegon AM)

Da ich schon sehr lange in der Branche tätig bin, erinnere ich mich genau an den Moment, in dem mir klar wurde, wie wichtig Diversität in den Vorständen sein sollte. In einer Wahlsaison in den späten 90er oder frühen 00er Jahren analysierte ich die Unternehmen Mothercare und N Brown. Beides Unternehmen, die mit ihren Marken vor allem Frauen ansprechen, und doch gab es in den beiden Vorständen höchstens eine Frau. Von da an war mein Interesse an diesem Thema geweckt und ich erkannte, wie wichtig es für Unternehmen ist, ein ausgewogenes Verhältnis in ihren Vorständen und in ihrer gesamten Organisation zu haben – vor allem, um die Kernziele ihres Unternehmens widerzuspiegeln.

Im Laufe der Jahre gab es viele Gespräche mit Vorstandsvorsitzenden von Unternehmen, von denen einige schnell die Notwendigkeit erkannten, sicherzustellen, dass der Vorstand den Kunden- und Mitarbeiterstamm reflektiert und von einer Meinungsvielfalt am Vorstandstisch profitiert. Bei anderen blieben die Gespräche fest im Lager des „richtigen Mannes (wörtlich) für den Job“ und beklagten den Mangel an geeigneten Frauen, die sich ihnen anschließen könnten.

Dank unserer nachhaltigen Bemühungen und der vieler anderer Investoren, kollektiver Gremien und Regulierungsbehörden sind jedoch enorme Fortschritte zu verzeichnen. Der FTSE Women Leaders Review vom Februar 2022 zeigte, dass 39,1 % der FTSE 100- und 36,8 % der FTSE 250-Vorstandssitze von Frauen besetzt sind. Diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen, denn wir wissen, dass die Zielvorgaben auf 40 % bis 2025 erhöht wurden. Darüber hinaus sind die meisten dieser Vorstandspositionen nicht geschäftsführend, so dass wir mehr Frauen in den Führungspositionen und im Vorsitz sehen wollen.

Die besten Unternehmen befassen sich nicht nur mit ihren Vorständen, sondern auch mit der Frage, wie das gesamte Unternehmen von einem höheren Grad an Vielfalt profitieren kann. Ein solches gutes Beispiel ist Softcat PLC. In zahlreichen Gesprächen mit dem Vorsitzenden des Unternehmens wurde sehr deutlich, dass er die Diversität in vielerlei Hinsicht erhöhen wollte. Als ich 2018 begann, mit dem Unternehmen zu sprechen, bestand die Belegschaft mehrheitlich aus Männern.

Es war ermutigend, stetige Fortschritte zu sehen, einschließlich der Unterzeichnung der Tech Talent Charter und der Veröffentlichung von geschlechts- und ethnisch bedingten Lohnunterschieden. Bis 2022 hat sich die Belegschaft auf 33 % Frauen erhöht sowie 27 % Frauen in der Geschäftsführung. Das Unternehmen hat außerdem zahlreiche Auszeichnungen für seine Bemühungen um Integration und Vielfalt erhalten. Ich bin davon überzeugt, dass dies der Kultur des Unternehmens zugutegekommen ist. 

Meine Bemühungen in dieser Hinsicht wurden von einigen begrüßt, von anderen nicht so sehr, aber ich werde dieses Thema weiter diskutieren, da ich glaube, dass es noch Raum für Verbesserungen gibt. 

  1. Frauen sind in der Finanzbranche unterrepräsentiert: Gleichstellung kann nicht erst in der Vorstandsetage anfangen

Von Martina Hoffard, Head of Marketing, Spectrum Markets

Tech branche Kommentar Geschäft Gleichstellung
Foto: Martina Hoffard (Quelle: Spectrum Markets)

Frauen sind im Finanzsektor unterrepräsentiert. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass diese Unterrepräsentation den Sektor behindert und der Wirtschaft insgesamt schadet. Es reicht jedoch nicht aus, nur über das Problem zu sprechen, indem man den Prozentsatz von Frauen in Führungspositionen und die erwiesenen Vorteile einer größeren Vielfalt betrachtet. Wenn man etwas tiefer gräbt, kommt man kaum um die Frage herum: Wie lange können wir noch behaupten, eine fortschrittliche Wirtschaft zu haben, wenn die Hälfte der Bevölkerung von der Finanzindustrie abgekoppelt ist?

Die aktuellen Fakten dazu sind folgende: Weltweit hat weniger als eines von fünfzig Finanzinstituten einen weiblichen CEO und weniger als 20 % der Vorstandsmitglieder sind weiblich. In den FTSE-100-Unternehmen gibt es nur neun weibliche Vorstandsvorsitzende und von den 413 Frauen in den FTSE-100-Verwaltungsräten sind 91 % in beratenden, nicht geschäftsführenden Positionen tätig.

Dem IWF zufolge bringt ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in den Leitungsorganen eine größere Ideenvielfalt hervor, die wiederum zu besseren Geschäftsentscheidungen führt, was wiederum ein besseres Endergebnis generiert. Dies ist keine bloße Spekulation: Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Präsenz von Frauen in Spitzenpositionen und besserem Management.

Diskriminierende Einstellungs- und Beförderungspraktiken berauben die Finanzinstitute derjenigen Talente, die sie brauchen, um wettbewerbsfähig und erfolgreich zu sein. Und ich spreche hier nicht nur von weiblichen Talenten. Die besten Kandidaten, die sich aussuchen können, für wen sie arbeiten, werden sich wahrscheinlich für Institutionen entscheiden, bei denen sie die größte Übereinstimmung des Unternehmensprofils mit ihren persönlichen Werten vorfinden. Daher ist es unwahrscheinlich, dass junge, aufgeschlossene und zukunftsorientierte Menschen, gleich welchen Geschlechts, ihre Talente Unternehmen zur Verfügung stellen wollen, die einen Mangel an personeller Ausgewogenheit aufweisen.

Die Schlüsselelemente des Problems sind eindeutig. Aber was sind die wirklichen Ursachen, wo beginnt die Unterrepräsentation von Frauen? An den renommierten Ivy-League-Universitäten in den USA sind 46 % der Studenten der Harvard Business School und 52 % der Studenten der Wharton School der University of Pennsylvania Frauen. Für sich genommen scheinen diese Zahlen ein rosiges Bild der Zukunft für Frauen im Finanzwesen zu zeichnen. Allerdings machen Frauen nur 16 % der Fakultätsmitglieder in den MBA-Programmen der führenden US-Business Schools aus. Ein möglicher Grund für die Diskrepanz zwischen der Zahl der weiblichen Hochschulabsolventen und der Zahl der weiblichen CEOs ist also der Mangel an Mentoren und Vorbildern.

Das Finanzwesen ist ein traditionell von Männern dominierter Bereich, in dem Männer gegenüber gleich oder besser qualifizierten Frauen traditionell bevorzugt befördert wurden und in dem es nach wie vor ein ausgeprägtes Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in gleichwertigen Positionen gibt. In einer solchen Branche ist es viel schwieriger, die Hierarchien zu überwinden, wenn man auf sich allein gestellt ist. Da es verhältnismäßig wenige weibliche Lehrkräfte und noch weniger weibliche Chefs gibt, die einen Weg vorgeben, ist die Aufgabe doppelt schwer. Es ist ein Teufelskreis, in dem ein Mangel an Vorbildern zu weniger Möglichkeiten für Frauen führt, das nächste Vorbild zu werden.

Es gibt Initiativen, die diesem Problem durch Mentoring entgegenwirken wollen, wie z. B. der „30% Club“. Der 30% Club ist eine Kampagne, die darauf abzielt, die Zahl der Frauen in den Aufsichtsräten der Welt zu erhöhen. Mehr als 1.000 Vorstandsvorsitzende und CEOs in über 20 Ländern haben sich dem 30% Club angeschlossen und sich verpflichtet, einen Frauenanteil von 30 % in ihren Vorständen zu erreichen. Ich würde jedoch argumentieren, dass wir, wenn wir uns nur auf Frauen in Führungspositionen konzentrieren, immer noch ein Symptom und nicht die Ursache behandeln. Der Frauenanteil im Finanzwesen ist nicht nur auf Vorstandsebene, nicht nur in Regulierungsgremien, nicht nur in angesehenen Bildungseinrichtungen, sondern auch an der Basis geringer.

Der Anteil der Frauen an den Kreditnehmern ist geringer, ihr Anteil an den Anlegern ist geringer und das geschlechtsspezifische Lohngefälle zieht sich durch alle Branchen und Regionen. Frauen sind bei der Beschäftigung mit Finanzdienstleistungen von der Spitze bis zur Basis und auf allen Ebenen der Branche unterrepräsentiert. Daher kann und sollte die Ungleichheit in Spitzenpositionen im Finanzsektor nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Zusammenhang mit der Ungleichheit in der Gesellschaft als Ganzes. Schließlich sind das Finanzwesen und die Gesellschaft eng miteinander verwoben. Eine ganzheitliche Perspektive hilft uns, besser zu verstehen, dass mehr finanzielle Gleichheit in der Gesellschaft die wirtschaftliche Stabilität fördert und das Wachstum anregt.

Wenn wir uns ansehen, wie die europäischen Volkswirtschaften in dieser Hinsicht im Vergleich zu den Schwellenländern dastehen, erhalten wir einige interessante Erkenntnisse. Die Region mit dem höchsten Anteil an weiblichen Führungskräften im Bankwesen ist Afrika südlich der Sahara. Lateinamerika und die Karibik haben den niedrigsten Anteil, während die „fortschrittlichen“ Volkswirtschaften irgendwo in der Mitte liegen. Dies deutet darauf hin, dass „fortschrittliche Volkswirtschaften“ in diesem Fall ein falscher Begriff sein könnte, da laut IWF „Banken mit einem höheren Anteil an weiblichen Vorstandsmitgliedern höhere Kapitalpuffer, einen geringeren Anteil an notleidenden Krediten und eine größere Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress aufweisen“.

Ist eine gleichberechtigte Vertretung von Frauen auf allen Ebenen der Wirtschaft – von Verbraucherinnen über Kleinunternehmerinnen bis hin zu Vorstandsvorsitzenden – ein realistisches Ziel, oder verlangen wir zu viel? Baronin Helena Morrisey, Gründerin des 30% Clubs, hat von einem Vorfall berichtet, bei dem ein Vorsitzender eines FTSE-Unternehmens ihr sagte, dass die Kampagne „versucht, die britische Wirtschaft zu zerstören“. Es liegt auf der Hand, dass die Bemühungen um Gleichstellung in einigen Kreisen weiterhin auf aggressiven Widerstand stoßen und es wird eine Menge kultureller Veränderungen geben müssen, wenn wir die Art von Veränderungen erreichen wollen, die erforderlich sind.

Wird sich ein solcher Umbruch lohnen? Das hängt davon ab, ob wir den Titel „fortschrittliche Wirtschaft“ behalten wollen oder ob wir uns mit altmodischen Einstellungen belasten wollen, während andere, zukunftsorientiertere Wirtschaftsräume die Führung übernehmen. Die wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Zukunft werden diejenigen sein, die die vorhandenen Talente im eigenen Land nutzen und die besten Talente aus dem Ausland anziehen.

Um sicherzustellen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben, ist ein Wandel an der Spitze, der durch die Förderung von mehr weiblichen CEOs und CFOs vorangetrieben wird, wichtig. Aber der Wandel von unten nach oben, von der Basis aus, der regressive Einstellungen in Frage stellt und gleichzeitig als Mentor für diejenigen fungiert, die uns folgen, wird den größeren Unterschied beim Aufbau einer Kultur ausmachen, die endlich eine echte Gleichstellung der Geschlechter ermöglicht.

„Gleichstellung kann nicht erst in der Vorstandsetage anfangen“

Fotos der beiden Autorinnen Miranda Beacham (Quelle: Aegon AM) und Martina Hoffard (Quelle: Spectrum Markets)

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