Mittwoch, April 24, 2024
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Ökonomen zu den Folgen der Gasumlage von 2,419 Cent

Berlin, 15. Aug (Reuters) – Haushalte und Industrie müssen ab Oktober eine Gas-Umlage von 2,419 Cent pro Kilowattstunde zahlen. Das Gemeinschaftsunternehmen der Gas-Netzbetreiber, Trading Hub Europe(THE), legte die Berechnung am Montag vor. Für einen vierköpfigen Durchschnittshaushalt ergibt sich damit eine Zusatzbelastung von rund 480 Euro im Jahr ohne Mehrwertsteuer. Ökonomen sagten in ersten Reaktionen:

STEFAN KOOTHS, VIZEPRÄSIDENT INSTITUT FÜR WELTWIRTSCHAFT (IFW):

„Sollten die Gasversorger die Gasumlage in der Breite an die Kunden weitergeben, dürfte dies die Inflationsrate gegen Jahresende um knapp einen Prozentpunkt anheben. Weil einige Versorger die Gasumlage aus Eigenmitteln schultern wollen und bei Festverträgen die Anpassung noch unklar ist, dürfte der Preiseffekt nicht schlagartig, sondern nach und nach eintreten.

Auf das Gesamtjahr 2023 bezogen, entzieht die Umlage den privaten Haushalten rund acht Milliarden Euro an Kaufkraft, was etwa 0,4 Prozent ihres verfügbaren Einkommens entspricht. Dies sind jedoch nur die unmittelbaren Effekte für den Gasbedarf der Privathaushalte. Hinzu kommt, dass auch die gewerblichen Abnehmer die Umlage zahlen (die privaten Haushalte verbrauchen hierzulande rund ein Drittel des Erdgases), wodurch weitere Preisschübe angestoßen werden.

Die Größenordnungen sind gesamtwirtschaftlich bedeutsam, sie stellen aber auch keinen Konsum-Killer dar. Dies umso mehr als die genannte Größenordnungen nur für sich genommen gelten. Denn: Die Gasumlage verteilt die höheren Bezugspreise für Erdgas nur um, sie ist ihrerseits kein Kostentreiber. Würde man auf die Gasumlage verzichten, stiege seitens der Versorger die Gefahr von Insolvenzen. Kunden müssten dann zu den viel höheren tagesaktuellen Preisen Neuverträge abschließen. Von daher ist der inflationäre Effekt wie auch der Kaufkraftentzug letztlich nicht der Gasumlage, sondern den höheren Importpreisen für Erdgas geschuldet.“

SEBASTIAN DULLIEN, WISSENSCHAFTLICHER DIREKTOR IMK:

„Da in den kommenden Monaten auch einige preisliche Entlastungsmaßnahmen wie das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt wegfallen und außerdem die im Großhandel gestiegenen Gaspreise zunehmend zu weiteren Preiserhöhungen bei den Endkunden führen, könnte damit die Inflationsrate insgesamt im vierten Quartal 2022 in Nähe von zehn Prozent steigen – und diese Marke im ungünstigen Fall sogar übersteigen.

Unsere Berechnungen unterstreichen die Notwendigkeit, dass die Wirtschaftspolitik die Privathaushalte weiter entlastet und auch mit nicht-konventionellen Maßnahmen gegensteuert. Neben erneuten staatlichen Einmalzahlungen im Winter wäre es jetzt zielführend, den Vorschlag eines Preisdeckels für einen Grundverbrauch von Gas für die Privathaushalte schnell umzusetzen und am besten mit der Einführung der neuen Gasumlage in Kraft zu setzen. Ein solcher subventionierter Grundverbrauch würde zum einen die Haushalte entlasten, weil die Gasrechnung niedriger ausfiele, zum anderen die Inflationsrate spürbar dämpfen. Außerdem würde bei diesem Vorschlag der Sparanreiz für die Haushalte voll intakt bleiben, weil für den Verbrauch oberhalb des Grundsockels weiter der volle Preis fällig wäre.

Die Europäische Zentralbank kann derzeit mit Zinserhöhungen wenig kurzfristig gegen die Inflation ausrichten, zumal diese vor allem aus Preissteigerungen in den Weltmärkten herrührt, auf die die EZB nur wenig Einfluss hat.“

JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:

„Die Gasumlage dürfte die Inflation inklusive der Mehrwertsteuer um knapp einen Prozentpunkt erhöhen. Zusammen mit dem Wegfall des Neun-Euro-Tickets und des Tankrabatts könnte dies die Inflationsrate im Oktober und November auf deutlich über neun Prozent steigen lassen. Das ist für die Verbraucher ein massiver Kaufkraftverlust. Das ist neben der Unsicherheit, die von Putins Nervenkrieg ums Gas ausgeht, ein wichtiges Argument, warum die deutsche Wirtschaft im Winterhalbjahr schrumpfen, also in eine Rezession abgleiten sollte. Die deutsche Wirtschaft steht vor einer schwierigen Zeit, auch wenn die Unternehmen recht widerstandsfähig sind, weil sie in den zurückliegenden 20 Jahren ihre Eigenkapitalquote deutlich erhöht haben.“

JENS SÜDEKUM, HEINRICH-HEINE-UNI DÜSSELDORF:

„An der Gasumlage führt auch in dieser Höhe leider kein Weg vorbei. Aber sie sollte mit einem Entlastungspaket für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen verknüpft werden, denn für sie gehen die steigenden Energiekosten an die Substanz. Hier muss die Politik nachliefern.

Zusammen mit dem auslaufenden Tankrabatt und dem Wegfall des Neun-Euro-Tickets kann der Anstieg der Gaspreise zu zweistelligen Inflationsraten im Herbst führen. Das belastet die Konjunktur erheblich. Die Industrie drosselt die Produktion und Verbraucher fahren ihren Konsum zurück. Eine Rezession in der zweiten Jahreshälfte ist wahrscheinlich. Daran ist aber nicht die Umlage an sich Schuld – es sind die Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine.

Der Staat kann die hohen Energiepreise nicht überall abfedern. Das ist unmöglich. Aber er kann zielgerichtet dort für Entlastung sorgen, wo es am nötigsten ist: bei den kleinen und mittleren Einkommen. Nötig wäre jetzt gezielte Umverteilung von oben nach unten, bis die Krise ausgestanden ist. Die Vorschläge von Finanzminister Lindner, ausgerechnet jetzt dem Ausgleich der kalten Progression Priorität einzuräumen, sind deshalb fehl am Platze. Dass die Umlage kommt, war seit mehreren Wochen klar. Auch die Größenordnung war ungefähr absehbar. Eigentlich hätte die Politik heute parallel zur Umlage ein wirksames Entlastungspaket verkünden können. Das wurde leider versäumt.“

Ökonomen zu den Folgen der Gasumlage von 2,419 Cent

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Foto: Symbolfoto

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