Freitag, November 8, 2024
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„Frauen sind Heldinnen“ – Afghanische Journalistin schafft es nach Berlin

Berlin, 26. Aug – Vor sechs Wochen hatte es Fawzia Saidzada geschafft. Die 30 Jahre alte Journalistin und Frauenrechtlerin aus Afghanistan kam in Berlin an – nach fast einem halben Jahr auf der Flucht. „Afghanische Frauen sind Heldinnen“, sagt sie im Interview mit Reuters TV. „Sie sind Kämpferinnen, die in den vergangenen vier Jahrzehnten Krieg ausgesetzt waren, aber die Hoffnung nicht verloren haben.“ In ihrer Heimat hatte sie vor der Machtübernahme der Taliban die neu gewonnene Freiheit von Frauen gelebt. Sie studierte, arbeitete als Journalistin und Aktivistin. Dann kam das jähe Ende. Die radikalislamischen neuen Herrscher schränkten die Rechte von Frauen und Mädchen massiv ein – Saidzada ging zunächst in den Untergrund. Doch auf Dauer war dies für sie und ihre Familie zu gefährlich. 

„Wir hatten ein gutes Leben, wie die Deutschen hier“, erinnert sie sich an die Zeit, als die international unterstützte Regierung noch die Macht hatte und die Truppen des Westens mehr oder weniger für Sicherheit und Stabilität sorgten. Sie studierte an der Salaam Universität in Kabul, vier Jahre Jura, zwei Jahre Journalismus. Sie arbeitete als politische Analystin für TV-Sender, als Moderatorin für Radiostationen und engagierte sich für die Rechte von Frauen und Mädchen. Die Taliban machten all das zunichte. Im August 2021 nahmen sie die Hauptstadt ein, die internationalen Mächte verließen nach 20 Jahren das Land. „An dem Tag, an dem Afghanistan fiel, brach alles in unserem Leben zusammen“, erinnert sich Saidzada.

Zunächst war sie entschlossen zu bleiben. Das Motto für sie und ihre Mitstreiter: „Entweder Freiheit oder Tod!“ Sie hätten sich weiterhin für die Rechte von Frauen und Mädchen eingesetzt, für deren Zugang zu Universitäten und Schulen, sie hätten Kontakten im Ausland über Verbrechen der Taliban berichtet, Orte enthüllt, an denen Frauen gefangengehalten worden seien, und darüber berichtet, wenn Soldaten der früheren Regierungsarmee getötet worden seien. Sie hielt durch bis Oktober, dann wurden sie und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Rahmatullah von den Taliban verschleppt. Nach eigener Darstellung kam sie bereits einen Tag später frei, weil sie glaubhaft versichert habe, mit den Taliban zusammenarbeiten zu wollen. Ihr Bruder blieb 15 Tage in Gefangenschaft. 

„Als Aktivisten, die unser Land retten wollten aus den Fängen der Taliban, war uns klar, für unsere Sache zu sterben“, sagt sie. „Es gab keinen anderen Weg.“ Aber, zunehmend wurde Saidzada bewusst, dass auch ihre Familie durch ihr Handeln in Lebensgefahr geriet. Im April dieses Jahres schließlich machte sie sich mit ihrem heute 13 Jahre alten Sohn, ihrem Bruder, ihrer Mutter und einem weiteren Bruder samt dessen Familie auf den beschwerlichen Weg. „Wir mussten aus Afghanistan fliehen.“ Über Pakistan kam die Familie schließlich Anfang Juli in Berlin an, nachdem es ihrer Darstellung zufolge sehr lange dauerte, bis sie die erforderlichen Papiere hatte. 

„WARUM HABT IHR UNS ALLEIN GELASSEN?“

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock prangerte unlängst die Beschneidung der Grundrechte durch die Taliban an. „Für Frauen und Mädchen bedeutet dies ein Leben wie im Gefängnis“, erklärte sie zum Jahrestag des Falls von Kabul. „Die Vorstellung, dass Mädchen im 21. Jahrhundert keinen uneingeschränkten Zugang zu Bildung erhalten und sich Frauen ohne männliche Verwandte nicht frei bewegen können, ist kaum zu ertragen, aber in Afghanistan für viele bittere Realität.“ Im jüngsten Reise- und Sicherheitshinweis des Auswärtigen Amts zu Afghanistan heißt es, dass die bürgerlichen Freiheiten stark eingeschränkt worden seien und wohl auch weiterhin würden. „Dies betrifft vor allem Frauen.“

Saidzada ist entschlossen, ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen. „Der Beruf des Journalisten ist heilig“, sagt sie. „Und es ist egal, wo sich ein Journalist aufhält.“ Was wichtig sei, sei zu berichten, was geschehe. „Journalisten in Afghanistan und in den Nachbarländern sind in einer hoffnungslosen Situation“, fügt sie hinzu. Die Taliban haben die Pressefreiheit und die freiheitliche Zivilgesellschaft mittlerweile fast vollständig abgeschafft. Nach einem Bericht der UN-Mission für das Land werden Journalisten, Aktivisten und Gegner des Regimes zunehmend verhaftet, im Gegensatz zu der Beteuerung der Taliban, sich an Menschenrechte im Rahmen des islamischen Rechts halten zu wollen. 

Das sagt auch Saidzada. Die Elite des Landes, Ärzte, Juristen, Journalisten seien überwiegend aus ihren Berufen gedrängt worden. Stattdessen besetzten die Taliban alle Schlüsselpositionen mit eigenen Leuten. „Afghanistan wird ein terroristisches Land bleiben“, ist sie sich sicher. Die Taliban würden mittlerweile Terroristen auch aus dem Ausland beherbergen, erzählt sie. „Afghanistan braucht die Hilfe der Welt.“ Dafür wolle sie nun weiterhin eintreten. Dazu halte sie Kontakt zu Gleichgesinnten in Afghanistan und zu den in die Nachbarländer geflohenen Aktivisten. Zunächst aber müsse sie vor allem Deutsch lernen, dann wolle sie ihren Hochschulabschluss in Internationalen Beziehungen absolvieren. Und, das sei ihr größtes Ziel, sie wolle eine Rede halten im Deutschen Bundestag.

„Die Welt muss unserem Volk beistehen“, appelliert Fawzia Saidzada. An die Abgeordneten im Bundestag habe sie letztlich nur eine Frage: „Warum habt Ihr uns allein gelassen?“ 

„Frauen sind Heldinnen“ – Afghanische Journalistin schafft es nach Berlin

Quelle: Reuters

Titelfoto: Symbolfoto

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