Berlin, 24. Jun (Reuters) – Endlich Fliegen ohne Klima-Schuldgefühle, mit einem Flugzeug, das statt Abgas nur Wasser ausstößt – Wasserstoff verspricht, zur umweltfreundlichen Art der Fortbewegung zu werden. Es ist Zukunftsmusik, die von einer Reihe von Unternehmen gespielt wird. Doch bevor die Visionen und Modelle tatsächlich in die Luft kommen, muss die neue Technik noch einige Hürden überwinden.
Airbus hat angekündigt, bis 2035 ein Wasserstoff-Flugzeug auf den Markt zu bringen, und dafür drei Entwürfe gezeichnet. Einer davon wirkt futuristisch: ein von zwei Turbinen angetriebenes dreieckiges Nur-Flügel-Modell mit Platz für bis zu 200 Passagiere. Es soll auf eine Reichweite von bis zu 2000 nautischen Meilen kommen, das sind rund 3700 Kilometer. Andere Entwürfe sehen konventioneller aus. Welches Modell sich am Ende durchsetzt, sei noch offen, sagt ein Sprecher – die Entscheidung, welche Variante den Kunden angeboten werden soll, werde in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts getroffen.
Bis dahin ist noch einiges an Grundlagenforschung nötig. Wasserstoff stellt deutlich höhere Anforderungen an ein Flugzeug als Kerosin. Da ist einmal die Größe des Moleküls: Wasserstoff ist so klein wie kein anderes Molekül auf der Erde, was bedeutet, dass Leitungen und Verbindungen besonders gut abgedichtet werden müssen. Konventionelle Dichtungen reichen dabei meist nicht aus. Da ist zum zweiten das Volumen: Bei normalen Temperaturen ist Wasserstoff ein Gas und braucht entsprechend viel Platz – ungefähr viermal so viel wie Kerosin. In ein Flugzeug passt es nur, wenn es entweder besonders stark komprimiert oder verflüssigt wird.
Antoine Habersetzer von der Forschungseinrichtung Bauhaus Luftfahrt sagt, Wasserstoff sei in erster Linie in flüssiger Form im Flugzeug einsetzbar, weil er dann eine Energiedichte erhalte, mit der umzugehen sei. Allerdings ist Wasserstoff nur bei Temperaturen bis minus 253 Grad flüssig – das sind gerade einmal 20 Grad über dem absoluten Nullpunkt, unter den die Temperaturen nicht fallen können. Tanks müssten daher besonders gut isoliert werden. Zudem gehe Energie verloren, rund 20 bis 30 Prozent der im Wasserstoff enthaltenen Energie sei nötig, um die Temperatur so niedrig zu halten.
Die andere Alternative erfordere besonders drucksichere Tanks. Ideal sei eine Kugelform, sagt Habersetzer, welche die Kräfte besonders gut aushalte. Bei beiden Technologien braucht Wasserstoff deutlich mehr Platz als Kerosin. Derartige Tanks dürften nur im Rumpf eines Flugzeugs Platz finden und nicht mehr, wie bisher, in den Tragflächen – was allerdings auf Kosten von Passagier- und Frachtraum geht.
Einfacher zu lösen erscheint die Frage des Antriebs. Grundsätzlich können Flugzeugturbinen – mit einigen Anpassungen – auch Wasserstoff verbrennen. Dass das funktioniert, zeigte schon in den 1980er Jahren der sowjetische Anbieter Tupolew, der mit der TU-155 mehrere Testflüge mit Wasserstoff absolvierte – zu Testzwecken mit einem Flugzeug, das statt Sitzen im Innenraum Wasserstofftanks hatte. Serienreif wurde die Technik nie, und das Ende der Sowjetunion besiegelte das Projekt. Airbus plant für 2026 einen ersten Flug mit einem A380, der versuchsweise ein zusätzliches Wasserstoff-Triebwerk haben soll.
Die Alternative sind Brennstoffzellen, an denen unter anderem der Münchner Triebswerksbauer MTU arbeitet. MTU-Technikvorstand Lars Weber sieht Chancen für die Technologie vor allem auf kürzeren Strecken im Zubringer- und Regionalflugzeug-Bereich, mit 40 bis 60 Sitzplätzen und einer Reichweite von rund 1500 Kilometern. Brennstoffzellen wandeln Wasserstoff und Sauerstoff durch eine chemische Reaktion zu Wasser um und produzieren dabei Strom.
Für die Fortbewegung sind Elektromotoren zuständig. Das erste Mal soll Mitte des Jahrzehnts ein Flugzeug mit Brennstoffzelle abheben, MTU arbeitet dabei mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen. Weiter ist die Firma Apus aus Strausberg bei Berlin, die schon im kommenden Jahr einen ersten Prototypen ihres viersitzigen Brennstoffzellen-Flugzeugs in die Luft bekommen und Mitte des Jahrzehnts die Zulassung durch die Luftaufsicht erhalten will.
Doch um Passagiere in einem ersten Schritt etwa innerhalb Europas mit einem Wasserstoff-Flugzeug zu befördern reicht alleine die Arbeit der Flugzeugbauer nicht aus. Die Technik sei das eine, die Infrastruktur für grünen Wasserstoff und Tankstellen das andere, sagen Industrievertreter. Zudem bleibe die Kostenfrage. Einhellig sieht die Industrie hier die Politik in der Pflicht: „Die Technologie setzt sich erst dann durch, wenn es entsprechende Auflagen gibt“, sagt Apus-Mitgründer Martin König.
Fliegen mit Wasserstoff – doch die Hürden sind hoch
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