Kiew/Cherson, 15. Nov (Reuters) – Russland hat wenige Tage nach dem Abzug aus der südukrainischen Stadt Cherson am Dienstag Dutzende Raketen auf Ziele im ganzen Land abgefeuert. Zugleich verdichteten sich Hinweise, dass sich die russischen Streitkräfte in der Region Cherson weiter östlich des Flusses Dnipro zurückzogen. Am Nachmittag ertönten in fast einem Dutzend größerer Städte in der Ukraine Luftalarm. Auch die Hauptstadt Kiew wurde getroffen, nach Angaben der örtlichen Behörden schlugen Raketen in zwei Wohnhäusern ein. Aus einem fünfstöckigen Gebäude schossen die Flammen empor, wie Reuters-Journalisten beobachten konnten. Behördenangaben zufolge wurde mindestens ein Mensch getötet, weite Teile der Hauptstadt waren ohne Strom.
Weitere Raketenangriffe wurden aus Lwiw und Schytomyr im Westen der Ukraine, aus Krywyj Rih im Süden und Charkiw im Osten gemeldet. Den Behörden zufolge wurden dabei erneut Anlagen zur Stromversorgung zerstört. Offenbar griffen die russischen Streitkräfte erneut zu der Taktik, Ziele mit Raketen von größerer Entfernung aus anzugreifen, um ihre Verluste am Boden zu kompensieren. Erst vor vier Tagen waren die russischen Truppen aus der Stadt Cherson im Süden abgezogen. Cherson ist eines der vier Gebiete, die Russland völkerrechtswidrig annektiert hat. Ursprünglich hatten sich die russischen Streitkräfte nur auf das östliche Ufer des Dnipro zurückziehen wollen.
Auf Video-Material vom Dienstag war aber zu sehen, wie Ortschaften am Ostufer des Dnipro und weiter östlich ebenfalls geräumt waren. In Oleschky, das gegenüber von Cherson liegt, wurden Bilder von verlassenen russischen Bunkern gezeigt. Reuters konnte den Ort, an dem das Video gedreht wurde, anhand mehrerer bekannter Gebäude verifizieren. Das Gebiet liegt nur zwei Autostunden entfernt von der ukrainischen Halbinsel Krim, die Russland bereits 2014 völkerrechtswidrig annektiert hatte. Die von Russland installierten Behörden erklärten, sie würden sich auch aus Nova Kachowka weiter östlich am Ufer des Dnipro zurückziehen. Das Gebiet liegt in der Nähe eines strategisch wichtigen Staudamms.
„KRAFTVOLLE REDE“
Natalja Humenjuk, eine Sprecherin des ukrainischen Militärs, sagte, es sehe ganz danach aus, dass die russischen Truppen etwa 15 bis 20 Kilometer östlich des Dnipros Stellung bezögen, um sich besser gegen Angriffe verteidigen zu können. Die russischen Streitkräfte seien aber immer noch in der Lage, von ihren Positionen aus die Stadt Cherson mit Raketen zu erreichen. „Aber wir haben auch etwas, um darauf zu antworten“, sagte Humenjuk. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte zugeschaltet zum G20-Gipfel in Indonesien, die Ukraine werde in ihren Bemühungen nicht nachlassen, um die russischen Truppen aus dem Land zu jagen. „Ich bin überzeugt, jetzt ist die Zeit gekommen, in der der destruktive russische Krieg gestoppt werden muss und kann.“
Wenige Stunden nach der Rede schlugen dann die russischen Raketen in der Ukraine ein. „Russland reagiert auf Selenskyjs kraftvolle Rede beim G20 mit einem neuen Raketenangriff“, schrieb Andrij Jermak, Stabschef von Selenskyj, auf Twitter. Bei dem Gipfel auf Bali zeichnete sich ab, dass die überwiegende Mehrheit den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilen würde.
Erneut russische Raketen auf Ziele in der Ukraine
Quelle: Reuters
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