Ein aktueller Investmentausblick von Eurizon:
In der ersten Hälfte des Jahres 2023 gingen die Märkte von einem positiven Szenario aus, und zwar von einem Soft Landing nach den Inflationsturbulenzen der Zeit nach Corona. Soft Landing: Wie alle Slogans läuft auch dieser Gefahr, durch häufige Wiederholung zu einem leeren Schlagwort zu werden. Von einem erfolgreichen Szenario spricht man, wenn die überhitzte und inflationäre Phase der Wirtschaft (Hot Economy) endet, ohne in die entgegengesetzten Turbulenzen, d. h. eine Rezession (Hard Landing), zu geraten. Die Ereignisse bewegen sich in diese Richtung. Damit aber das Szenario einer nicht überhitzten Konjunktur ohne harte Landung weiterhin Gültigkeit hat, müssen drei Entwicklungen verfolgt werden.
Zum einen muss die Inflation vollständig auf ein niedriges und stabiles Niveau zurückgehen. In den USA, wo die Gesamtinflation im Jahresvergleich im Juni auf 3 % gesunken ist, ist dieser Prozess bereits in vollem Gange. Die Kerninflation ist mit 4,8 % im Jahresvergleich zwar immer noch hoch, sie folgt aber dem Rückgang, der bereits bei den stärker energiebezogenen Faktoren zu beobachten ist. Vor allem in der Eurozone muss sich der Inflationsabbau beschleunigen. Hier liegt die Inflation mit 5,5 % im Jahresvergleich zwar unter ihrem Höchststand vom Oktober (10,6 %), ist aber immer noch zu hoch, vor allem in der Kerninflation, die noch keine eindeutigen Anzeichen für eine Trendwende erkennen lässt.
Die zweite Entwicklung, auf die in den kommenden Monaten zu achten ist, betrifft die Zentralbanken, die das Ende des Inflationsdrucks verkünden und die Zinserhöhungen beenden müssen. Was die Fed betrifft, so gehen die Märkte nach der Anhebung im Juli von einer Wartephase aus. Es ist jedoch auch wahrscheinlich, dass die Tonlage noch einige Zeit hart bleiben wird, sodass der Raum für mögliche weitere Erhöhungen offen bleibt, sollte sich der Rückgang der Inflation verlangsamen.
Für die EZB rechnet der Markt mit einer letzten Anhebung um 25 BP im Herbst und anschließend mit stabilen Zinssätzen. Selbst in diesem Fall wird die EZB es nicht eilig haben, die Phase der Straffung für beendet zu erklären, und sie wird sich den Spielraum für eine erneute Anhebung offen halten, sollte die Notwendigkeit dazu bestehen. Es ist verständlich, dass die Zentralbanken angesichts des immer noch positiven Wirtschaftswachstums den Kampf gegen die Inflation nicht zu früh für gewonnen erklären wollen.
Es ist besser, jetzt über das Ziel hinauszuschießen, als später mit negativen Überraschungen konfrontiert zu werden. Als gesichert gilt jedoch die Annahme, dass die Straffung der Geldpolitik sowohl in den USA als auch in der Eurozone im Herbst endet. Und 2024 dürfte dann ein Jahr mit sinkenden Zinsen werden und das Umfeld dürfte sich nach der Inflation wieder normalisiert haben.
Der dritte Bestandteil des positiven Szenarios, der wichtigste und vielleicht am meisten diskutierte, ist die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. Die allgemeinen Prognosen zu Jahresbeginn sagten für 2023 eine makroökonomische Verlangsamung voraus, ohne das Risiko einer Rezession auszuschließen. Stattdessen hat die Wirtschaftstätigkeit, trotz der von den Zentralbanken Vertrauensindizes für vorgenommenen starken Straffung der Geldpolitik positiv überrascht.
Die Möglichkeit einer abrupten Verlangsamung als Spätfolge der Zinserhöhung bleibt jedoch das Hauptrisikoszenario. Um dies zu verhindern, muss sich die Industrietätigkeit nach der starken Abschwächung der letzten Monate, die ihrerseits eine 55 Folge der Überproduktion nach dem Corona-Boom ist, wieder stabilisieren. Gleichzeitig ist eine Abschwächung des Dienstleistungssektors wünschenswert, d. h. der Inlandsnachfrage, die immer noch zu stark ist und dafür verantwortlich ist, dass der Rückgang der Kerninflation bisher nur langsam ist.
Dieser ideale Übergang zwischen dem Industrie- und dem Dienstleistungssektor wird das Element sein, das es zu beobachten gilt und das, wenn es sich manifestiert, dafür sorgen kann, dass die Konjunktur sowohl in den USA als auch in der Eurozone in einem nachhaltigen Tempo voranschreitet.
In einem Umfeld, das sich von der überhitzten Wirtschaft des Jahres 2022 wegbewegt, um auf einen nachhaltigen, weichen Wachstumspfad zu kommen, ohne jedoch eine stärkere Abbremsung, also ein Hard Landing, auszuschließen, erscheint das derzeitige Zinsniveau als attraktiv.
Der Fed-Satz von 5,0 bis 5,5 % und der EZB-Satz von 4,0 bis 4,5 % sind als Notniveaus zu betrachten. Ab 2024 wird nach der Inflation eine Normalisierungsphase einsetzen, die den kurzfristigen Zinsfutures zufolge Mitte 2025 in den USA bei 3,0 bis 3,5 % und in der Eurozone bei 2,5 bis 3,0 % liegen soll.
Wenn man von diesen Erwartungen ausgeht, sind die aktuellen kurz- und mittelfristigen Anleihezinsen ein Schnäppchen, und die längerfristigen Zinsen stellen eine gute Versicherung gegen das Risiko einer unerwartet starken Konjunkturabschwächung dar. In diesem Fall würden die Zinsen schneller sinken als derzeit angenommen.
Unter den Unternehmensanleihen weisen Investment-Grade-Anleihen ein attraktives Risiko-Ertrags-Profil auf, da in den hohen Fälligkeitssätzen und Spreads bereits ein gewisser Grad an wirtschaftlicher Abschwächung berücksichtigt ist. Ein höheres Volatilitätsrisiko besteht bei Hochzinsanleihen.
Interessant sind Anleihen aus Schwellenländern, wo die Zentralbanken Spielraum haben, um einer möglichen Konjunkturabschwächung entgegenzuwirken.
Die Aktienmärkte waren die größten Nutznießer des moderaten Umfelds, das sich bisher in den Inflations- und Konjunkturdaten zeigte. Ähnlich wie im letzten Jahr sind die Aktienmärkte aufgrund des Gegenwinds durch die Verlangsamung der Erträge, der Erwartung eines verlängerten Konjunkturzyklus und eines baldigen Endes der Zinserhöhungen gestiegen. Infolgedessen erscheinen die absoluten Bewertungen (Kurs-Gewinn-Verhältnis, KGV) nun weniger attraktiv, insbesondere für den US- Aktienmarkt.
Mittelfristig gesehen sind die Bewertungen der Aktienmärkte nicht zu hoch und ermöglichen nach wie vor mittelfristige Renditen, die im historischen Durchschnitt liegen. Jeder Schluckauf oder jede Verzögerung bei einem der drei oben genannten Schlüsselelemente (verzögerter Inflationsrückgang, anhaltende Straffung der Zentralbanken, Abschwächung der Makrodaten) kann jedoch die Volatilität an den Märkten, die für das positive Szenario eingepreist sind, wieder anheizen.
Der Verlierer des moderaten Umfelds ist der US- Dollar. Dies liegt zum einen daran, dass die Fed als erste die Zinserhöhungen einstellen wird, und zum anderen daran, dass eine Rückkehr der Unsicherheit dazu führt, dass die Währungen, die gemeinhin als sichere Häfen gelten, weniger stark nachgefragt sind. Sollte sich das Szenario eines Soft Landings bestätigen, könnte der US-Dollar weiter fallen. Doch kurzfristig könnte er eine Verschnaufpause einlegen, nachdem er die Marke von 1,13 gegenüber dem Euro erreicht hat.
Drei Zutaten für ein erfolgreiches Szenario
Foto: Bild von Colin Behrens auf Pixabay
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