Digitalisierung des Gesundheitsmarktes in Deutschland – notwendig um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten?
In den letzten Jahrzehnten hat sich unsere Welt verändert. Kleidung und Lebensmittel werden ganz selbstverständlich im Internet bestellt und der nächste Urlaub wird online gebucht. Durch die Pandemie wurde der digitale Wandel noch stärker vorangetrieben: Hybrides Arbeiten und Remote-Meetings sind während der letzten Jahre von der Ausnahme zur Regel geworden.
Dass die Pandemie auch der Digitalisierung des Gesundheitswesens auf die Sprünge geholfen hat, zeigt der eHealth Monitor von McKinsey aus dem Jahr 2021. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich die Zahl der digitalen Sprechstunden im Jahr 2020 um das 900-fache erhöht und die Downloads vieler Gesundheits-Apps verdoppelt haben. Gleichzeitig erfolgte die Kommunikation zwischen niedergelassenen Ärzt:innen und Krankenhäusern allerdings zu 95 Prozent in Papierform.
Die Digitalisierung fällt in weiten Teilen des deutschen Gesundheitswesens bisher allerdings spärlich aus, wenn man diese mit anderen Ländern vergleicht. Grund dafür sind unter anderem strenge Datenschutz-Gesetze in der EU und mangelnde Aufklärung von Patient:innen im Bereich eHealth. Unter eHealth versteht man Anwendungen, welche die Behandlung und Betreuung von Patient:innen mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen.
Auch Ärzt:innen agieren noch eher zurückhaltend, wenn es um digitale Anwendungen im Gesundheitswesen geht. Laut dem Digitalisierungsreport 2021 der DAK und der Ärzte Zeitung fühlen sich zwei Drittel der Interviewten nicht genügend darauf vorbereitet, digitale Lösungen wie beispielsweise die elektronische Patientenakte (ePA) zu nutzen. Neben der ePA ist der Ausbau der sicheren Vernetzung im Gesundheitswesen (Telematikinfrastruktur, TI) notwendig, um eine Bandbreite an digitalen Angeboten wie Videosprechstunden, die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und das elektronische Rezept (E-Rezept) zu ermöglichen bzw. zu verbreiten.
Zusätzlich wird den Anbietern von digitalen Lösungen im Rahmen der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und der digitalen Pflegeanwendungen (DiPAs) ein neues Geschäftsmodell bzw. eine neue Möglichkeit der Finanzierung aus den Budgets der Kranken- und Pflegekassen geboten.
Doch warum brauchen wir das alles? Bisher hat doch alles wunderbar funktioniert. Es gibt viele Faktoren, die eine rasche Digitalisierung des Gesundheitswesens unumgänglich machen. Zu den wohl bedeutendsten zählen der demografische Wandel, die Urbanisierung und der akute Fachkräftemangel im Gesundheitssektor. Durch die Digitalisierung wird es möglich, bestehende Ressourcen effizienter zu nutzen und so eine hochwertige und bezahlbare Versorgung zu sichern – und zwar für die gesamte Gesellschaft.
So können beispielsweise Menschen, die auf dem Land oder in strukturschwachen Regionen leben, dank telemedizinischer Versorgung dennoch einfach Zugang zu vielen gesundheitsfördernden Leistungen erhalten. Durch künstliche Intelligenz können administrative Tätigkeiten und Teile der Diagnostik erleichtert oder automatisiert werden.
Die avisierten Ziele des Gesundheitsministeriums bezüglich einer digitalen Transformation des Gesundheitswesens sind einleuchtend:
- die Gesundheitsversorgung soll auf allen Ebenen verbessert werden
- Strukturen für ein modernes Gesundheitswesen und datenbasierte Medizin sollen aufgebaut werden
- alltägliche Prozesse sollen vereinfacht werden
- ein erlebbarer Nutzen für alle beteiligten Akteure, von Psychotherapeut zu Patient, von Ärztin zu Sanitätshaus
Gerade das Thema Sanitätshaus bezieht sich auf einen komplexen Bereich des Gesundheitswesens, der vielen Menschen nicht wirklich präsent ist: der Hilfsmittelmarkt. Hilfsmittel sind Produkte wie Rollstühle, Inkontinenzprodukte oder Pflegebetten. Diese sollen den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern, eine Behinderung ausgleichen oder die Pflege erleichtern.
Um die Kosten für ein Hilfsmittel von der Krankenkasse erstattet zu bekommen, ist ein gültiges Rezept notwendig. Für viele Allgemeinmediziner:innen zählen Hilfsmittel allerdings nicht zum täglichen Geschäft und die Expertise in dem Bereich ist begrenzt. Oftmals findet eine Beratung zu Hilfsmitteln erst im Sanitätshaus statt – dort wo eigentlich der Bedarf möglichst schnell gestillt werden soll. Zusätzlich besitzt nicht jedes Sanitätshaus einen Versorgungsvertrag mit den fast 100 Kranken- und Pflegekassen in Deutschland. Doch auch für die Sanitätshäuser ergeben sich viele Komplexitäten.
Sich laufend ändernde Hersteller- und Lieferantenpreise stehen den sinkenden Kostenübernahmebeträgen der Kranken- und Pflegekassen gegenüber. Zusätzlich sollen die Produkte regelmäßig repariert und im Umlauf gehalten werden. Daraus ergibt sich eine unfassbare Komplexität und hoher bürokratischer Aufwand. Dies führt dazu, dass viele Menschen erst nach geraumer Zeit oder gar nicht adäquat versorgt werden können. Digitale Beratungsangebote, Applikationen der Telemedizin wie das E-Rezept und die direkte Beauftragung von passenden Leistungserbringern könnten hier den Prozess für Konsument:innen erheblich erleichtern.
Es bleibt zu hoffen, dass der Digitalisierungs-Schub während der Pandemie nicht nur ein kurzfristiges Intermezzo, sondern einen langfristigen Wandel darstellt. Wir befinden uns auf dem richtigen Weg, doch es gibt noch viel zu tun.
https://gesund.bund.de/digitalisierung-im-gesundheitswesen https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/digitalisierung.html https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/digitalisierung/digitalisierung-im-gesundheitswesen.html https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/warum-die-digitalisierung-im-gesundheitswesen-nur-langsam-voran-geht-16095/#:~:text=Doch%20der%20Datenschutz%20ist%20ein,waren%20sich%20die%20Experten%20einig. https://www.mckinsey.de/~/media/mckinsey/locations/europe%20and%20middle%20east/deutschland/news/presse/2021/2021-11-18%20ehealth%20monitor%202021/211118_pm_ehealth%20monitor%202021.pdf https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/e-health.html https://www.dak.de/dak/bundesthemen/digitalisierung-im-gesundheitswesen-skepsis-von-aerztinnen-und-aerzten-ueberwinden-2524736.html#/ https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/digitalisierung-im-gesundheitswesen.html#:~:text=Die%20Digitalisierung%20scha%EF%AC%80t%20neue%20Diagnostik,Apps%20und%20Informationen%20im%20Internet.
Autor
Valentin Kronreif ist neben Thomas Seidl und Shane Füller einer der Gründer von anni.care. Mit der digitalen Plattform wird die Beschaffung von Hilfsmitteln (z.B. Rollatoren oder Pflegebetten) erheblich vereinfacht.
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