02. Dez – Die Pleite des Zahlungsabwicklers Wirecard ist einer der größten Finanzskandale in Deutschland. Wie kam es dazu und was waren die bisherigen Folgen? Ein Überblick über wichtige Ereignisse:
2015
April – Die Zeitung „Financial Times“ (FT) beginnt eine Artikelserie mit dem Namen „House of Wirecard“, in der sie auf Ungereimtheiten hinweist.
2016
Februar – Die von dem Börsenspekulanten Fraser Perring betriebene Firma Zatarra Research wirft Wirecard in einer im Internet verbreiteten Analyse betrügerische Machenschaften vor.
März/Mai – Die Finanzaufsicht BaFin nimmt Perring und andere Investoren, die mit Leerverkäufen auf einen Absturz der Wirecard-Aktie gewettet hatten, wegen des Verdachts der Marktmanipulation ins Visier und erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft München.
2017
Februar – Die BaFin-Bankenaufsicht prüft gemeinsam mit der Bundesbank, ob die Muttergesellschaft Wirecard AG als Finanzholding einzustufen ist. Ergebnis: Nein. Damit hat die Finanzaufsicht keinen Zugriff auf den Gesamtkonzern, nur auf die Wirecard Bank. Die EZB stimmt dieser Einschätzung später zu.
2018
September – Wirecard verdrängt die Commerzbank aus dem Dax. Die Aktie steigt auf ein Rekordhoch von 199 Euro, der Börsenwert klettert auf fast 25 Milliarden Euro. Damit ist das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mehr wert als die Deutsche Bank.
2019
Januar – Die „Financial Times“ erhebt neue Vorwürfe gegen Wirecard. Es geht um mögliche Geldwäsche und Kontenfälschung in Asien, in die ein Wirecard-Manager in Singapur verwickelt sein soll. Weitere Artikel mit Vorwürfen der Bilanzfälschung gegen den Konzern folgen.
Februar – Die BaFin eröffnet eine Untersuchung im Zusammenhang mit der Berichterstattung. Sie nimmt Leerverkäufer, Journalisten und Verantwortliche von Wirecard wegen des Verdachts der Marktmanipulation und falscher beziehungsweise irreführender Angaben in der Finanzberichterstattung der Wirecard AG ins Visier.
15. Februar – Die BaFin beauftragt die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) mit einer Analyse der Wirecard-Bilanz.
18. Februar – Mit einem Leerverkaufsverbot untersagt die BaFin für zwei Monate Wetten auf Kursverluste der Wirecard-Aktie – ein bisher einmaliger Vorgang.
19. Februar – Bundesfinanzminister Olaf Scholz wird informiert. Dem SPD-Politiker wird gesagt, dass die BaFin in alle Richtungen wegen Marktmanipulation ermittelt – also auch gegen Verantwortliche der Wirecard AG – und dass die DPR möglichen Bilanzunregelmäßigkeiten nachgeht.
10. April – Die BaFin erstattet Anzeige gegen zwei FT-Journalisten und Investoren wegen des Verdachts der Marktmanipulation.
15. April – Die BaFin brummt der Wirecard AG ein Bußgeld in Höhe von 1,52 Millionen Euro auf. Grund: verspätete Veröffentlichung von Geschäftsberichten.
24. April – Wirecard gewinnt den Telekommunikations- und Internet-Konzern Softbank9434.T als strategischen Partner. Das Bündnis mit dem renommierten japanischen Investor lässt Zweifel an dem deutschen Zahlungsabwickler in den Hintergrund treten.
18. Juni – Auf der Hauptversammlung findet das Wirecard-Management ein geteiltes Echo. Während die einen über „Chaostage“ und Intransparenz schimpfen, jubeln andere über „Glücksmomente“ angesichts der Aktienkursentwicklung, die trotz wiederholter Einbrüche aufwärts geht. Es wird die letzte Hauptversammlung des Konzerns sein.
Juli – Sonderprüfung der BaFin bei der Wirecard Bank. Das Institut wird am 15. Juli unter Geldwäsche-Intensivaufsicht gestellt.
21. Oktober – Wirecard beauftragt die Wirtschaftsprüfer von KPMG mit einer Sonderprüfung, um die Vorwürfe der Bilanzfälschung zu entkräften.
2020
11. Januar – An der Spitze des Aufsichtsrats löst der frühere Deutsche-Börse-Finanzvorstand Thomas Eichelmann (54) den pensionierten Banker Wulf Matthias (75) ab.
25. Februar – Behörden von Bayern und Bund sprechen nach Angaben beider Seiten erstmals über die Geldwäscheaufsicht bei der Wirecard AG. Laut Bundesfinanzministerium erklärt sich die Bezirksregierung von Niederbayern gegenüber der BaFin für zuständig. Später bestreitet Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, dass die Landesbehörde zuständig sei.
28. April – Die Wirtschaftsprüfer von KPMG stellen dem Unternehmen ein schlechtes Zeugnis aus. Für bestimmte Umsatzerlöse gebe es keine Nachweise, angebliche Einzahlungen auf Treuhandkonten in Höhe von rund einer Milliarde Euro wurden nicht hinreichend nachgewiesen, heißt es in einem Sonderbericht, den Wirecard selbst in Auftrag gegeben hatte. Konzernchef Braun hingegen sieht den in Medienberichten erhobenen Vorwurf der Bilanzfälschung als widerlegt an.
8. Mai – Der Wirecard-Aufsichtsrat beschneidet die Kompetenzen von Vorstandschef Braun. Dieser entschuldigt sich „für die Turbulenzen der vergangenen Wochen und Monate“.
11. Mai – Das Amtsgericht München stellt das Strafverfahren gegen den Börsenspekulanten Fraser Perring gegen eine Geldauflage ein.
5. Juni – Razzia der Staatsanwaltschaft in der Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München. Die Finanzaufsicht BaFin hatte den gesamten Wirecard-Vorstand wegen des Verdachts auf Marktmanipulation angezeigt. Die Behörden gehen dem Verdacht nach, dass die Vorstände im Rahmen der KPMG-Prüfung irreführende Angaben gemacht und dadurch den Börsenkurs manipuliert haben.
18. Juni – Die Wirtschaftsprüfer von EY verweigern Wirecard das Testat für die Bilanz für 2019, weil Belege über 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten auf den Philippinen fehlen. Wirecard suspendiert den für das operative Geschäft zuständigen Vorstand Jan Marsalek. Braun erklärt, das Unternehmen sei vermutlich Opfer „in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes“.
19. Juni – Wirecard-Chef Braun tritt zurück. Der neue Compliance-Vorstand James Freis übernimmt den Chefposten.
22. Juni – Wirecard erklärt, dass die fraglichen Bankguthaben von 1,9 Milliarden Euro „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Bilanzfälschung. Braun stellt sich den Strafverfolgern. Marsalek wird gefeuert und taucht unter.
25. Juni – Der Dax-Konzern stellt einen Insolvenzantrag.
9. Juli – Die Staatsanwaltschaft München bestätigt, dass sie seit dem vergangenen Jahr wegen Geldwäscheverdachts gegen Wirecard-Verantwortliche ermittelt. Diesem Verdacht waren die Strafverfolger im vergangenen Jahrzehnt wiederholt nachgegangen, ohne jedoch fündig zu werden.
22. Juli – Die Staatsanwaltschaft München erklärt, dass Wirecard mindestens seit Ende 2015 Bilanzen gefälscht und Umsätze aufgebläht habe. Sie wirft der ehemaligen Wirecard-Führungsriege nun auch gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Geschäfte mit Drittpartnern in Asien seien erfunden worden, um das Unternehmen erfolgreicher aussehen zu lassen. Braun, der zunächst gegen Kaution freigekommen war, muss nun doch in Untersuchungshaft. Weitere Manager werden verhaftet.
24. Juli – Finanzminister Scholz schlägt Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal vor. Das Papier, das er als „Aktionsplan der Bundesregierung“ überschreibt, ist bei seiner Veröffentlichung aber nur mit dem SPD-geführten Justizministerium abgestimmt.Read full story
24. August – Der Essenslieferdienst Delivery Hero ersetzt Wirecard im Dax.GDAXI. Die Deutsche Börse hatte extra ihre Regeln geändert, um Wirecard schneller aus dem Leitindex verbannen zu können.
25. August – Das Amtsgericht München eröffnet das Insolvenzverfahren über die Wirecard AG. Der einstige Börsenstar wird zerschlagen, mehr als die Hälfte der rund 1300 Mitarbeiter in Deutschland erhalten die Kündigung. Die Gläubiger müssen sich auf hohe Verluste einstellen, da die Schulden die Vermögensweite weit übersteigen.
03. September – Die Staatsanwaltschaft München stellt ihr Ermittlungsverfahren gegen Journalisten der „Financial Times“ im Zusammenhang mit deren Berichten über Wirecard ein. Der Verdacht einer Marktmanipulation habe sich nicht bestätigt.
08. Oktober – Im Bundestag nimmt der Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal seine Arbeit auf. Er soll Versäumnisse von Regierung und Behörden aufklären sowie Empfehlungen für die Reform von Aufsichtsbehörden und anderen Kontrollstellen ausarbeiten.
03. November – Die EU-Wertpapieraufsicht ESMA übt harsche Kritik an Bundesfinanzminister Olaf Scholz und deutschen Behörden. Es gebe eine ganze Reihe von Mängeln, Versäumnissen und ineffizienten Abläufen.
19. November – Der inhaftierte Ex-Wirecard-Chef Markus Braun wird im Untersuchungsausschuss des Bundestags als Zeuge gehört. Entgegen vielen Erwartungen verweigert der Österreicher vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss Antworten auf zahlreiche Fragen und verliest nur eine knappe Erklärung.
2021
29. Januar – Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz entlässt BaFin-Präsident Felix Hufeld und Vizepräsidentin Elisabeth Roegele. Im Wirecard-Skandal stehen Scholz und die Bafin seit Längerem in der Kritik.
2. Februar – Bundesfinanzminister Scholz treibt die Reform der BaFin voran. Nachdem erste Konsequenzen bereits in einen Gesetzentwurf gegossen wurden, legt Scholz ein Sieben-Punkte-Paket vor. Die BaFin soll mehr Befugnisse bekommen und laut Scholz „eine Finanzaufsicht mit Biss“ werden.
24. Februar – Der Präsident der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), Edgar Ernst, kündigt seinen Rücktritt zum 31. Dezember an. Der als „Bilanzpolizei“ bekanntgewordenen DPR, die als privater Verein organisiert ist, werden Interessenkonflikte und zu laxe Kontrollen vorgeworfen.
25. Februar – Die früher für Wirecard tätige Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft Ernst & Young (EY) setzt ihren Deutschlandchef Hubert Barth ab und lässt die internen Abläufe von unabhängigen Experten unter die Lupe nehmen.
25. Juni – Der Bundestag nimmt den Schlussbericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses einstimmig zur Kenntnis. Die Fraktionen kritisieren in unterschiedlichen Bewertungen Fehler zahlreicher Verantwortlicher in Behörden und Politik.
2022
14. März – Nach umfangreichen Ermittlungen erhebt die Staatsanwaltschaft München Anklage gegen Braun und zwei weitere Wirecard-Manager. Die Ermittler werfen Braun, seinem Bilanzchef Stephan von Erffa und dem Statthalter von Wirecard in Dubai, Oliver Bellenhaus Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte dauern an.
9. Juni – Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffe hat mit dem Verkauf von Unternehmensteilen gut eine Milliarde Euro erlöst, wie eine vorläufige Bilanz ergibt. Dem stehen Forderungen von Banken, Sozialkassen und anderen Gläubigern über 3,3 Milliarden Euro gegenüber.
21. September – Das Landgericht München lässt die Anklage unverändert zu.
9. November – Das Landgericht München legt den Prozessauftakt für den 8. Dezemberfest und plant vorläufig 100 Verhandlungstermine bis Ende 2023 ein.
Der milliardenschwere Finanzskandal bei Wirecard
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
Hier findet ihr die aktuellen Livestream-Folgen. Mehr aus Web3, NFT und Metaverse.