Update Berlin, 02. Nov – Für kaum eine Reise hat Bundeskanzler Olaf Scholz so viele Ratschläge bekommen. Am Donnerstag bricht er nach China auf – als erster Regierungschef eines G7-Staates seit dem Beginn der Corona-Pandemie und seit dem Parteitag der chinesischen Kommunisten, auf dem Präsident Xi Jinping seine Macht zementierte. „Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt seiner Reise entschieden“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock diese Woche in Usbekistan. Nun müsse er die richtigen Botschaften nach China bringen: fairer Wettbewerb, Menschenrechte und die Anerkennung internationaler Regeln. EU-Industriekommissar Thierry Breton empfahl im Reuters-Interview, China mit Vorsicht zu begegnen. BASF-Chef Martin Brudermüller wiederum forderte, vom China-Bashing wegzukommen. Denn der Chemiekonzern will sein Engagement in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt sogar noch ausbauen.
Für Scholz, der mit einer kleinen, aber hochkarätigen Wirtschaftsdelegation nach China reist, ist der Besuch ein Drahtseilakt. Die Ampel-Koalitionspartner Grüne und FDP machen keinen Hehl daraus, dass sie die Reise des Kanzlers für falsch halten. Baerbock (Grüne) erinnerte den Kanzler von Zentralasien aus an den Koalitionsvertrag, in dem eine veränderte China-Politik verabredet worden sei – was den Hinweis im Kanzleramt provozierte, dass Scholz den Vertrag sicher am besten kenne. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wiederum hält den Zeitpunkt der Reise für „äußerst unglücklich“. Dahinter steckt auch der Groll, dass das Kanzleramt gegen Grüne und FDP dafür sorgte, dass der Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco mit 24,9 Prozent in eine Betreibergesellschaft an einem Terminal des Hamburger Hafens nicht scheiterte.
Zuspruch bekommt Scholz dagegen aus der SPD: „Natürlich ist es richtig, dass der Kanzler nach China fährt“, sagte SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt zu Reuters. „In diesen Zeiten ist es nötig, auch mit schwierigen Ländern zu reden und die eigenen Standpunkte zu vertreten“, fügte die stellvertretende Vorsitzende der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe dazu. Die Bundesregierung müsse am Ende Farbe bekennen, wie man mit einem schwierigen Land wie China umgehen wolle, das man unter anderem für die internationale Klimapolitik brauche.
Und als Wink an die kritischen Ampel-Partner kommt der Hinweis, dass Scholz doch entscheidende politische Signale bereits gesendet habe: Seine erste Asien-Reise hatte ihn zum G7-Partner Japan und eben nicht ins Reich der Mitte geführt. Die ersten Regierungskonsultationen in seiner Amtszeit fanden mit der asiatischen Milliarden-Demokratie Indien statt und eben nicht mit dem kommunistischen China. Und in der gleichen Woche, in der der Kanzler nach China reist, besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Südkorea und Japan. Die Außenministerin war in Zentralasien unterwegs. Das neue Schlagwort des auf Exporte und Globalisierung angewiesenen Deutschlands lautet deshalb „Diversifizierung“.
VIELFÄLTIGE KRITIK
Die Kritik entzündet sich dennoch an mehreren Punkten: In Europa wird die Reise als deutscher Alleingang bemängelt. Insidern zufolge hatte Scholz ein Angebot von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron abgelehnt, zusammen mit ihm nach Peking zu reisen. In Regierungskreisen wurde die Kritik zurückgewiesen. „Niemand hat gesagt: Fahrt nicht“, heißt es mit Bezug auf die engen Absprachen mit Frankreich und den USA.
Kritisch wird auch gesehen, dass Scholz bei seinem wegen der strikten Corona-Politik Pekings verschobenen Antrittsbesuch von den Chefs von Konzernen wie VW, BASF, BMW, Hipp und Merck begleitet wird. Die prominente Delegation erweckt den Eindruck, dass der Weg zu der auch von den Wirtschaftsverbänden BDI und DIHK beschworenen Diversifizierung noch weit ist – zumal die deutschen Investitionen in China im ersten Halbjahr nach Angaben des IW-Instituts ein Rekordniveau erreichten. Anders als früher sei aber bei dem Besuch keine Unterzeichnungszeremonie von Abschlüssen geplant, heißt es dazu in Regierungskreisen. Es sei eben kein „business as usual“.
Dolkun Isa, der Präsident der Welt-Kongresses der muslimischen Uiguren, wirft Scholz dennoch vor, mit dem Besuch „Xi Jinping zu huldigen und dabei das menschliche Leid von Millionen Menschen völlig außer Acht zu lassen.“ Für Deutschland stehe Profit weiter über Menschenrechten. In Regierungskreisen wurde am Mittwoch darauf verwiesen, dass der Kanzler bei seinem Besuch „natürlich“ auch alle kritischen Themen wie Menschenrechte ansprechen werde. Die Bundesregierung hat zudem bereits Investitionsgarantien für die Provinz Xinjiang gestoppt, in der China laut einem UN-Bericht Uiguren massiv unterdrückt. „Wir fordern, dass das Thema Menschenrechte mindestens so prominent auf dem Tisch gebracht wird wie wirtschaftliche Interessen“, fordert Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch.
China-Besuch wird Gratwanderung für Scholz
Quelle: Reuters
Bildquelle: Bild von Enrique auf Pixabay
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