ChatGPT verweist Deutschlands Digitalwirtschaft auf seinen Platz
Deutschland hinkt hinterher. Nicht nur, dass US-amerikanische und chinesische Unternehmen bei Suchmaschinen, Social Media und Cloud-Servern die Nase vorn haben – jetzt kommt auch noch die künstliche Intelligenz (KI) dazu. Als das von Microsoft unterstützte Unternehmen OpenAI das Sprach-KI-Tool ChatGPT auf den Markt warf, war der Aufschrei groß. Experten der Digitalwirtschaft wagen sich sogar an eine Schätzung des Rückstands: So um eineinhalb Jahre, sagen sie. Eine Ewigkeit im IT-Geschäft.
Was macht ChatGPT so bedeutend für die Wirtschaft?
Der Chatbot kann auf viele verschiedene Anfragen erstaunlich korrekt antworten und besteht sogar juristische Examen. Das allein ist schon beeindruckend, aber eben noch nicht alles. Der Chatbot ist der Prototyp für Sprach-KI-Modelle, die in Zukunft auch Aufgaben im Büro- und Geschäftsleben übernehmen werden, an die seine Entwickler bisher noch gar nicht gedacht haben. Also gilt für deutsche Firmen: Wieder gibt es eine Basistechnologie, die sie von US-amerikanischen Unternehmen einkaufen müssen.
Oder doch nicht? Auch in Deutschland gibt es zumindest ein KI-Sprach-Modell, das es mit den Konkurrenten aus dem US-amerikanischen Raum aufnehmen könnte: Luminous, ein Modell des Start-ups Aleph Alpha. Es ist sogar eleganter, weil ressourceneffizienter: Für vergleichbare Ergebnisse braucht es wesentlich weniger Rechenleistung. Trotzdem gilt: KI-Innovationen haben es schwer hierzulande.
KI benötigt eine höchstleistungsfähige Rechner-Infrastruktur
Künstliche Intelligenz ist energietechnisch nicht billig. KI-Modelle auf dem Niveau von ChatGPT haben entweder eine Supercomputing-Infrastruktur hinter sich, die mithilfe milliardenschwerer Investitionen aufgebaut wurde, oder ihre Datenverarbeitung ist so ausgeklügelt, dass sie mit weniger Rechenleistung auskommt. Giganten wie Microsoft oder Google können für die nötigen Rechenzentren sorgen, um „Brute-Force“ in der Datenverarbeitung einzusetzen. Deutsche Firmen müssen bisher mit wesentlich weniger Leistung auskommen.
Zu viele Bedenken erschweren KI-Innovationen
Künstliche Intelligenz muss auf vielen Datensätzen trainiert werden. Die hohen Datenschutz-Regulierungen in der Europäischen Union und in Deutschland gelten daher oft als Nachteil im Innovationswettbewerb. Genauer betrachtet liegt das Problem jedoch eher in einem „Zuviel“. Denn im deutschen und europäischen Raum herrscht die Tendenz vor, Bedenken, die längst in bestehende Richtlinien und Gesetze eingeflossen sind, neuerlich in Regeln zu gießen. Anstatt auf dem Potenzial liegt das Augenmerk also immer eher auf den Risiken neuer Technologien. Das hemmt Innovationen, die es im fraglos strenger regulierten europäischen Raum sowieso schon schwerer haben, noch zusätzlich.
Fazit: Deutschland ist nicht innovationsfreudig genug
Was Innovationen brauchen, ist Offenheit und die Bereitschaft, das Potenzial von Technologien unvoreingenommen einzuschätzen und zu fördern – ohne natürlich die Augen vor möglichen Gefahren zu verschließen. Wer Höchstleistungen erwartet, muss die Ressourcen dafür zur Verfügung stellen. Dafür ist Deutschlands Innovationswillen im Moment noch nicht ausgeprägt genug.
Autor:
Christoph Hohenberger ist Managing Director & Co-Founder von Retorio, einem KI-Start-up aus München. Retorio bietet eine videobasierte Behavioral-Intelligence-Plattform, die künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen mit Erkenntnissen aus der modernen Verhaltens- und differenziellen Psychologie verbindet. Begonnen als Forschungsprojekt an der Technischen Universität München hilft die Technologie Unternehmen dabei, Erfolgsmuster zu erkennen, passende Talente einzustellen und weiterzuentwickeln.
Quelle: Akima Media