Ein aktueller Kommentar von Marcus Weyerer, CFA, Senior ETF Investment Strategist bei Franklin Templeton:
Ein schwächeres globales Konjunkturumfeld, geo- und handelspolitische Spannungen, sinkende Rohstoffpreise und Probleme im Inland wie z. B. die hohe (wenngleich sinkende) Schuldenlast sind Hürden, die Brasilien zu nehmen hat. Allerdings dürften die jüngsten Erfolge marktfreundlicher Kräfte bei den Kongresswahlen im Oktober einige Bedenken in Bezug auf Lula und seine Partido dos Trabalhadores (PT; Arbeiterpartei) mindern, wie z. B. die Neigung, staatliche Sozialausgaben durch Schulden oder höhere Steuern zu finanzieren. Lula selbst gelobte, das Land auf einem gemäßigten Kurs zu steuern, und erkannte an, dass „der Privatsektor äußerst wichtig ist“.
Während es von entscheidender Bedeutung ist, dass die nächste Regierung fiskalpolitisch zurückhaltend agiert und die Verschuldung im Blick behält, tendieren die Märkte häufig dazu, eine Politik zu belohnen, die Investitionen gegenüber Ausgaben Vorrang einräumt. Ein solcher Ansatz wird aufgrund des Gewichts der konservativen Abgeordneten und der Hürden im Kongress, die Lula wird nehmen müssen, auch höhere Erfolgschancen haben (als Steuergeschenke).
Lulas Sieg kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Brasilien im Gegensatz zu großen Teilen der Welt durch nach wie vor hohe Rohstoffpreise und einen Haushaltsüberschuss gestützt werden könnte. Der Staatskasse kommen sprudelnde Steuereinnahmen und hohe Dividenden von staatlichen Unternehmen zugute. Der Primärüberschuss der Zentralregierung lag in den vergangenen 12 Monaten (per September 2022) bei 1 %, und laut Prognosen wird die Verschuldung im Verhältnis zum BIP in diesem Jahr um 4,1 Prozentpunkte sinken.
Dies ist die drastische Umkehrung eines Aufwärtstrends, in dessen Zuge dieser Wert von rund 50 % Mitte der 2010er-Jahre auf knapp 90 % im Nachgang der Pandemie anstieg. Auch wenn die Regierung für das kommende Jahr abermals ein Defizit erwartet und sich der Impuls durch die hohen Rohstoffpreise des Jahres 2022 in eine Belastung verwandeln könnte, zeigen die Aktienmärkte und der brasilianische Real ein moderates Vertrauen.
Der US-Dollar wertete im vergangenen Jahr gegenüber den wichtigsten Währungen um rund 18 % auf, verlor jedoch gegenüber dem Real. Der FTSE Brazil 30/18 Capped Index legte in demselben Zeitraum (in US-Dollar) um 19 % zu – eine erstaunliche Leistung in Anbetracht der trostlosen Renditen sowohl in den anderen Schwellenländern (-28 %) als auch den Industrieländern (-18 %).
Eine Phase der Disinflation im Sommer bedingte teilweise den Optimismus, und die Inflation schwächte sich von ihrem Hoch im Frühjahr ab. Dies könnte der brasilianischen Zentralbank Banco Central do Brasil (BCB) erlauben, 2023 mit einer Lockerung zu beginnen. Der Selic-Satz, der Leitzins der BCB, war seit August unverändert geblieben, was sie von anderen Zentralbanken unterscheidet, die in vielen Fällen weiterhin hinterherzuhinken scheinen.
Ein wichtiger Aspekt für den Erfolg der Bank bei der Eindämmung der Inflation könnte ihre formelle Unabhängigkeit von der Regierung gewesen sein, die durch ein ursprünglich von Bolsonaro unterstütztes Gesetz zustande kam (was er später bedauerte). In der Amtszeit von Lula könnte dies als weitere Absicherung gegen unkontrollierte Ausgaben fungieren. Ganz allgemein ist eine unabhängige Zentralbank eine Errungenschaft für sich, die dem Land in der Zukunft gute Dienste leisten dürfte. Natürlich bedeutet das nicht, dass Brasilien in puncto Inflation bereits über den Berg ist.
Mit einer Sunset-Klausel versehene Kraftstoffsubventionen und Steuersenkungen tragen zu dem sinkenden Preisdruck bei, und strukturelle Probleme wie etwa die Verwerfungen in den Lieferketten und geopolitische Risiken sind weiterhin ungelöst. Sollte die BCB zu früh zu expansiv agieren, könnte der Druck auf die Währung die Inflation rasch wieder anfachen.
Darüber hinaus könnten die rohstoffbasierten Exporte eine Abkühlung verzeichnen, da die Weltwirtschaft, und insbesondere China als wichtigster Handelspartner Brasiliens, in eine Phase niedrigeren Wachstums eintritt und Rezessionsrisiken drohen. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Brasiliens BIP zu großen Teilen durch den Binnenkonsum getragen wird. Stabile oder sinkende Zinssätze, die niedrigste Arbeitslosenquote seit 2015, steigende Reallöhne und ein stärkeres Vertrauen bedeuten, dass die brasilianischen Verbraucher vor allem im Vergleich zu vielen Industrieländern wohl in guter Verfassung sind.
Die größten kurzfristigen Risiken bestehen in einer Eskalation der politischen Spannungen oder einer längeren Verunsicherung des Marktes. Nach Lulas Amtseinführung sollten die Märkte ihr Augenmerk von der Politik auf die Fundamentaldaten und die Chancen verlagern, die durch die neue Administration entstehen: Infrastrukturprojekte, neuer Fokus auf dem grünen Wandel, Investitionen in Bildung und Stützung der inländischen Wirtschaft. Lula ist in Brasilien eine bekannte Größe.
Im größten Teil seiner vorherigen Amtszeit florierte die Wirtschaft, und auf Basis der jüngsten Performance scheinen sowohl inländische als auch internationale Investoren in Bezug auf seine Rückkehr an die Macht moderat optimistisch zu sein. Auch wenn noch abzuwarten bleibt, wie er seine Wahlversprechen umsetzen wird, übernimmt Lula eine Wirtschaft mit solidem Fundament und erheblichem langfristigen Potenzial.
Brasilien: Lula steht auf einem soliden Fundament
Graphik zur Entwicklung der Brasilianischen Aktien und Foto von Marcus Weyerer (Quelle für beide: Franklin Templeton)
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