Berlin, 25. Nov – Der Menschenrechtsrat in Genf gilt nicht als das machtvollste Gremium innerhalb der Vereinten Nationen. Aber die Verurteilung des Iran wegen des gewaltsamen Vorgehens der Führung in Teheran gegen die Protestbewegung markiert eine Wende. Die Mehrheit des Gremiums folgte einem Antrag Deutschlands und Islands zur Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die im Iran die Lage der Menschenrechte und vor allem Rechte von Frauen und Mädchen untersuchen soll.
Die Resolution, von Außenministerin Annalena Baerbock vorangetrieben, ist das sichtbarste Zeichen für eine neue, konfrontativere Haltung auch der Bundesregierung gegenüber der Führung in Teheran. Aber Deutschland steckt mit seiner Iran-Politik trotzdem in einer schwierigen Lage.
KRITIK AN BERLIN – „VIEL ZU ZURÜCKHALTEND“
„Seit 2003 war es die klare Priorität der Bundesregierung, eine atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern“, sagt der Nahost-Experte der Stiftung Wissensch und Politik (SWP), Markus Kaim, zu Reuters. Das führte zu einer schwierigen Abwägung. Denn das vom früheren Grünen-Außenminister Joschka Fischer vorangetriebene internationale Atomabkommen sollte Iran den Weg zu einer zivilen Nutzung der Kernkraft bei gleichzeitigen internationalen Kontrollen ermöglichen.
Die Menschenrechtslage im Iran unter der Mullah-Herrschaft war aber auch in früheren Jahren und vor den aktuellen Protesten problematisch. Deshalb mussten sich zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz und Baerbock von der Union, Menschenrechtsgruppen, aber auch der FDP Kritik an einer zu zögerlichen Positionierung anhören. „Bei ihrer Haltung zur Situation im Iran konnte ich … lange keine Züge der von ihr sonst so hochgehaltenen feministischen Außenpolitik erkennen“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai zu Reuters. „Da war die Ministerin anfangs viel zu zurückhaltend, weil es ihr vorrangig um die Rettung des Atomprogramms ging.“
Kaim hält dies für nachvollziehbar: „Dass die Nuklearbewaffnung des Iran trotz der gravierenden Menschenrechtsverletzungen Priorität hatte, war aber zumindest verständlich – denn dies ist die größere Gefahr für die Welt“, betont er. Nun aber hat die Regierung in Teheran die Bundesregierung aus diesem Dilemma entlassen: Iran selbst hat mitgeteilt, dass in der unterirdischen Atomanlage Fordow begonnen wurde, Uran auf einen Reinheitsgrad von 60 Prozent anzureichern – was nach Meinung von Experten sinnlos für eine zivile Nutzung ist.
Die USA hatten daraufhin erklärt, dass die ohnehin festgefahrenen Gespräche über das Atomprogramm keine Priorität mehr haben. Die Bundesregierung schloss sich dem jetzt an. Scholz versicherte den iranischen Demonstranten in seinem Video-Podacast, dass Deutschland an ihrer Seite stehe. Baerbock forcierte die Abstimmung im UN-Menschenrechtsrat. Es gebe „keinen Interpretationsspielraum“ mehr bei der Einhaltung fundamentaler Rechte, sagte Baerbock am Donnerstag im Plenum.
DAS NEUE PROBLEM – WIE STOPPT MAN TEHERAN?
Allerdings stürzt dies die Bundesregierung, den Westen und die Golf-Region in ein viel größeres Problem: Wie sollen sie mit den nun wachsenden Zweifeln umgehen, dass Iran trotz aller Dementis die Atombombe wirklich anstrebt? „Auf keinen Fall sollte die Bundesregierung nun das Atomprogramm offiziell aufgeben“, warnt SWP-Experte Kaim. „Der Schwarze Peter für ein Scheitern des Abkommens muss in Teheran liegen.“
Derzeit folgt die Ampel-Regierung dieser Linie. Doch das Druck- und Lockmittel gegenüber Iran ist offensichtlich verschwunden. Bisher verhandelte man mit dem Iran unter der Androhung, Verhängung oder der Aufhebung von Sanktionen. Das scheint zumindest die Hardliner in Teheran aber nicht zu beeindrucken. Nun kommen Sanktionen wegen der Unterdrückung der Demonstrationen hinzu.
„Auf keinen Fall sollte die Bundesregierung jetzt einen ‚regime change‘, also einen Umsturz in Teheran zu fordern“, rät SWP-Experte Kaim. Dies spiele nur den Hardlinern in die Hände – und wäre angesichts fehlender deutscher Einflussmöglichkeiten ohnehin ein Bluff.
US-ZURÜCKHALTUNG – OPTION ISRAEL
Bleibt die Frage, wie man Iran auf dem Weg zur Bombe überhaupt stoppen könnte, zumal das Regime auch sein Raketenprogramm in den vergangenen Jahren vorangetrieben hat. US-Präsident Joe Biden stünden „alle Optionen“ zur Verfügung, heißt es in der US-Regierung in Anspielung auch auf ein militärisches Eingreifen. „Aber die USA zeigen wenig Neigung dazu. Wir sehen seit den US-Präsidenten Obama und Trump eher eine Selbstbeschränkung für militärische Einsätze, gerade im Nahen und Mittleren Osten“, sagt Kaim. Die Bundesregierung, der alle militärischen Mittel fehlen, pocht ausschließlich auf eine friedliche Lösung. „Wir sind überzeugt, dass dies auf diplomatischem Weg geschehen muss“, betont ein Außenamtssprecher. Was geschieht, wenn dies nicht klappt, sagt die Regierung nicht.
Bleibt die Option Israel, obwohl sie niemand aussprechen will. Israel hatte in der Vergangenheit mehrfach militärische Schläge gegen Atomanlagen im Iran ausgeführt. „Nach der Internationalisierung des Konflikts würde dies eine Re-Regionalisierung bedeuten“, sagt SWP-Experte Kaim mit Blick auf einen möglichen israelischen Angriff. Er verweist darauf, dass eine iranische Atombombe oder allein die Fähigkeit zu deren Bau ohnehin die Statik in der gesamten Golf-Region verändern würde – zumal auch Saudi-Arabien, regionaler Gegenspieler des Iran, eine nukleare Option nie ausgeschlossen hat.
Atomprogramm oder Menschenrechte – Das Dilemma der Iran-Politik
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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