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Analyse: Europa fürchtet sich nicht mehr vor riesigem US-Subventionspaket

Berlin, 02. Feb – Diskriminierung europäischer Firmen, unfreundlicher Akt, Schlag ins Kontor: Das 370 Milliarden Dollar schwere Subventionspaket der USA, mit dem Investitionen in grüne Technologien forciert werden sollen, hat Unternehmen und Spitzenpolitiker in Europa alarmiert. Doch mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Maßnahmen nicht so negativ sind wie anfangs gedacht. Zumindest, wenn Europa weitere Ausnahmen durchsetzen kann. Das sollen nächste Woche in Washington Robert Habeck und Bruno Le Maire ausloten, die Wirtschaftsminister aus Deutschland und Frankreich. Am Ende kann das US-Paket sogar zum Weckruf werden, im Wettbewerb mit den USA und China stärker in die Offensive zu gehen. 

Der sogenannte Inflation Reduction Act (IRA) bevorzugt Länder, mit denen die USA Freihandelsabkommen haben wie etwa Kanada und Mexiko. „Wir müssen mindestens so behandelt werden wie die US-Nachbarn“, sagt der Präsident der europäischen Handelskammer Eurochambres, Luc Frieden, der Nachrichtenagentur Reuters. „Es braucht insgesamt mehr Handel mit klaren Regeln.“ Das IRA-Paket setzt aber steuerliche Anreize, beispielsweise Elektroautos in Nordamerika zu fertigen. Ein hochrangiger Vertreter der EU-Kommission sagt, dies sei das eigentliche Problem. Warnungen aus der deutschen Wirtschaft vor einer De-Industrialisierung seien allerdings übertrieben. Europa habe ähnliche Summen im Köcher. 

Diese Einschätzung wird mittlerweile auch im Kanzleramt geteilt: „Im deutschen Klima- und Transformationsfonds stehen für die Jahre von 2023 bis 2026 Mittel von fast 180 Milliarden Euro bereit“, so Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zuletzt beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Hinzu kommen die anderen 26 EU-Staaten. Und die 370 Milliarden Dollar in den USA beziehen sich auf einen Zeitraum von zehn Jahren. 

Die genauen IRA-Auswirkungen sind noch unklar. In der Bundesregierung wird teilweise beklagt, dass die EU-Kommission bislang eine genaue Analyse schuldig geblieben ist. Die Sorge sei, dass Wasserstoff – ein entscheidendes Puzzleteil für klimaneutrale Industrieprozesse – in den USA am Ende viel billiger zur Verfügung stehe, was massive Auswirkungen haben dürfte, sagt ein Regierungsvertreter. 

„EIN SPATENSTICH JAGT DEN NÄCHSTEN“

Die deutsche Industrie warnt seit längerem davor, den Anschluss zu verpassen – was zumindest einige Ökonomen für überzogen halten. Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), wertet die US-Subventionen als legitimes Mittel für mehr Klimaschutz. Europa habe seine Standortbedingungen selbst in der Hand, heißt es in einer Studie. Produktionsverlagerungen könne es zwar im Einzelfall geben. Sie hingen in der Praxis aber von vielen Faktoren ab, nicht nur einzelnen Subventionen, die zudem nach 2024 von einem republikanischen Präsidenten nennenswert gekürzt werden könnten. „Energiepreisunterschiede sind für energieintensive Unternehmen ein deutlich wichtigerer Faktor.“ Und Europa könnte langfristig auch von einer Wasserstoffproduktion in den USA profitieren, weil gerade Deutschland hier auf günstige Importmöglichkeiten angewiesen sein wird. 

Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), berichtet dagegen in den USA gerade von vielen neuen Investitionen deutscher Firmen, vor allem von Autobauern und deren Zulieferern. „Ein Spatenstich jagt den nächsten. Also die Investitionen in den USA gehen klar hoch.“ Die USA würden, weil Produktionsverlagerungen angestrebt werden, Europa als Wertepartner unnötig unter Druck setzen. „Das ist ein unfreundlicher Akt und schon ein Schlag ins Kontor. Die USA sind da jetzt am Zug, Europa was anzubieten.“ Habeck und Le Maire würden deswegen nächsten Montag und Dienstag versuchen, weitere Ausnahmen für europäische Firmen zu bekommen. „Das ist auch nicht unrealistisch, dass wir am Ende wie Mexiko und Kanada behandelt werden. Die USA sehen ja selbst Widersprüche in dem Subventionspaket.“ 

Auch Mercedes hofft auf solche Fortschritte: „Wichtig wäre es, wenn sowohl bei den Rohstoffen als auch bei der Endmontage der Fahrzeuge die Europäische Union von den USA so behandelt würde wie Kanada und Mexiko, mit denen die Vereinigten Staaten Freihandelsabkommen haben. Wenn das den Ministern Habeck und Le Maire gelingen würde, wäre es ein großer Erfolg“, sagt Cheflobbyist Eckart von Klaeden zu Reuters. 

Der Industrieverband BDI argumentiert ähnlich. Die Umsetzungsrichtlinien für die zuständigen US-Behörden müssten entschärft werden, „weitestgehend auf Diskriminierungen verzichten“, erläutert BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Dabei gehe es vor allem um die geplanten Steuergutschriften für E-Autos. Die USA gingen insgesamt mit Steuervorteilen schnell und unbürokratisch vor. Das schaffe eine hohe Investitionssicherheit. „So wird der Standort USA vor allem bei der Wasserstoff-Erzeugung besonders wettbewerbsfähig.“ Darauf müsse Europa reagieren. 

BRÜSSEL KONTERT MIT EIGENEM SUBVENTIONSPAKET 

Und Europa bewegt sich. Am Mittwoch stellte die EU-Kommission ihr eigenes Subventionspaket vor, um bei grünen Technologien mehr Tempo zu machen. Im einzelnen sollen die Regeln für Staatshilfen gelockert, ungenutzte Mittel aus dem Corona-Hilfstopf anders eingesetzt, Öko-Projekte schneller genehmigt und Handelsabkommen zur Sicherung knapper Rohstoffe forciert werden. In den nächsten Jahren werde sich entscheiden, wie die klimaneutrale Wirtschaft aussehen und wo sie angesiedelt sein werde, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Europa wolle dabei ein gewichtiges Wort mitreden. Rund 250 Milliarden Euro an bestehenden Mitteln sollten dafür umgewidmet werden. Im Fokus der Brüsseler Behörde sind vor allem Hersteller von Windturbinen, Solarzellen, Batterien, E-Autos und aus der Wasserstoff-Branche. 

Für E-Autos werden in den USA künftig Steuervorteile gewährt, wenn die Modelle in Nordamerika endmontiert werden, also nicht Exporte aus der EU – ein Verstoß gegen Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Weitere Einschränkungen zu den Vorprodukten kommen hinzu. Die Überlegung, dass in Europa gefertigte Fahrzeuge im Rahmen von Leasingmodellen von den US-Förderungen profitieren könnten, sei zu begrüßen, sagt die Präsidentin des Automobilverbands VDA, Hildegard Müller. Dies erfasse aber nur einen Teil der von europäischen Herstellern in den USA angebotenen E-Autos. Außerdem seien Leasingmodelle in den USA nicht sonderlich beliebt. Habeck und Le Maire dürften in Washington versuchen, diese Ausnahme abzusichern. Volkswagen teilt auf Anfrage mit, der enge Dialog mit den USA sei gut. Die EU müsse aber zuhause ein attraktives Investitionsumfeld für Batteriezellen, grüne Energie und Wasserstoff schaffen. 

Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, der maßgeblich daran beteiligt war, ein großes Tesla-Werk nach Grünheide im Berliner Umland zu holen, sieht auch die Schatten des Subventionswettlaufs. Er habe mit Unternehmen gesprochen, die dann von Kanada angeboten bekommen hätten, satte 70 Prozent der Investitionen staatlich zu übernehmen. „Wir haben eine komplette Vergewaltigung des freien Marktes“, so der SPD-Politiker zuletzt bei einer Podiumsdiskussion. Eigentlich seien die US-Pläne gegen China gerichtet gewesen, richteten jetzt aber in Deutschland einen Kollateralschaden an. 

Allerdings sind die Zeichen zuletzt eher gemischt gewesen. Denn Deutschland hat gerade dank massiver staatlicher Förderung nach Intel in Magdeburg eine weitere Chipfabrik an Land gezogen. Der US-Konzern Wolfspeed will im Saarland ein Werk für umgerechnet 2,75 Milliarden Euro bauen. Northvolt hatte eine Investition von über vier Milliarden Euro in Heide in Schleswig-Holstein angekündigt. Mit Verweis auf das US-Subventionspaket und die dortigen Investitionsbedingungen hatte der schwedischen E-Auto-Batterie-Hersteller das Engagement dann aber wieder infrage gestellt. Habeck will das Unternehmen an diesem Freitag besuchen. 

Das ganze Subventionspaket in den USA zu verhindern, ist nach übereinstimmenden Informationen aus Politik und Wirtschaft nicht mehr möglich. Ohne die protektionistischen Elemente hätte es im US-Kongress keinen Kompromiss dazu gegeben, sagt ein Kenner der US-Politik. „Die Lösung heißt Kooperation, nicht Abschottung“, ergänzt die SPD-Politikerin Verena Hubertz. Habeck, der ohne Wirtschaftsdelegation in die US-Hauptstadt reisen wird, müsse sich dafür einsetzen, die Nachteile für europäische Firmen so weit wie möglich zu reduzieren. 

Analyse: Europa fürchtet sich nicht mehr vor riesigem US-Subventionspaket

Quelle: Reuters

Symbolfoto: Bild von Dušan Cvetanović auf Pixabay

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