Berlin, 16. Apr – Luiz Inacio Lula da Silva galt als Hoffnungsträger der Bundesregierung, als er die brasilianischen Präsidentenwahl im Herbst 2022 gewann. Endlich glaubte man wieder einen Partner in Brasilia für eine gemeinsame Außen-, Klima- und Handelspolitik gefunden zu haben. Nach der Visite von Kanzler Olaf Scholz bei Lula wurde in der Bundesregierung jeder Halbsatz gelobt, in dem der brasilianische Linkspolitiker Kritik an Russlands Angriff auf die Ukraine andeutete. Aber jetzt zeigte der parallele Besuch von Lula und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Peking das ganze Dilemma der deutschen China-Politik. Denn Lula machte in China überdeutlich, dass Brasilien keinerlei Neigung hat, den westlichen Kurs der Abgrenzung und Risikominimierung gegenüber autoritären Staaten wie China und Russland mitzugehen.
Im Gegenteil schimpfte Lula in Shanghai, dass er nicht verstehe, warum in der Welt Geschäfte überhaupt in US-Dollar abgewickelt würden. Er schob für die eigene Wirtschaft Milliarden-Geschäfte an und betonte, dass der mit Abstand größte südamerikanische Staat mit mehr als 215 Millionen Einwohnern gerne die in den USA und Deutschland umstrittenen chinesischen HuaweiHWT.UL-Komponenten im eigenen Mobilfunknetz einsetzen möchte. Und er wies darauf hin, dass die von den sogenannten BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gegründete Neue Entwicklungsbank in der Lage sei, die Probleme der Schwellenländer zu lösen.
WADEPHUL: LULA-BESUCH SOLLTE WECKRUF SEIN
„Lulas Besuch sollte ein Weckruf für den Westen sein“, erklärte Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Wadephul begleitet Baerbock auf ihrer Asien-Reise. Vor dem Hintergrund der Äußerungen Lulas verblasst die Forderung Baerbocks in Südkorea etwas, dass die Demokratien mit ihren gleichen Wertevorstellungen in der Welt stärker kooperieren müssten. Daran arbeitet auch Kanzler Scholz seit mehr als einem Jahr. 2022 lud er einige Schwellenländer zum G7-Gipfel nach Elmau ein, um sie näher an den Westen zu binden. Aber schon seine Reisen nach Südafrika und Senegal zeigten, dass beide Länder zwar an einer engeren Zusammenarbeit interessiert sind – sich aber weder gegen Russland noch China stellen wollen.
Schließlich hat das aufstrebende Reich der Mitte vielen Ländern mit Krediten und Investitionen etwas zu bieten. Daran ändern das EU-Gegenmodell zur chinesischen Seidenstraßen-Initiative und die milliardenschweren Investitionsankündigungen westlicher G7-Industriestaaten nichts. „Der politische Westen hat bisher keine konsistente Strategie, den globalen Süden in seine Politik einzubeziehen“, kritisiert Wadephul.
Dazu kommt, dass Baerbock in China zwar die Einheit der EU beschwor, aber in nur zwei Wochen für alle Welt sichtbar wurde, dass es etwa zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der Grünen-Politikerin Differenzen beim Blick auf Taiwan oder der Risikokontrolle gibt: Während Grüne und FDP in Deutschland wieder den begrenzten Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco601919.SS im Hamburger HafenHHFGn.DE infrage stellen, hat Macron kein Problem damit, dass der Luftfahrtkonzern AirbusAIR.PA in China eine zweiten Fertigungslinie für Flugzeuge aufbaut.
Darüber hinaus ist der Blick der 27 EU-Staaten auf China und Taiwan sehr unterschiedlich. Während Länder wie Litauen oder Tschechien gerne mit den roten Linien der Ein-China-Politik spielen und sich klar an die Seite der Regierung in Taipeh stellen, mahnte Macron stellvertretend für andere EU-Staaten zur Zurückhaltung. Süffisant ließ Chinas Top-Diplomat Wang Yi nach dem Treffen mit Baerbock mitteilen, er erwarte und hoffe, dass gerade Deutschland mit seiner Ein-China-Politik die friedliche Wiedervereinigung mit Taiwan unterstütze. Schließlich habe China einst auch die deutsche Wiedervereinigung unterstützt.
KEINE LANGFRISTPLANUNG DER DEMOKRATIEN
Und während China für einige EU-Staaten eine eher nachgeordnete wirtschaftliche Bedeutung hat, ist es für Deutschland der größte Handelspartner. Das erklärt, wieso auch Außenministerin Baerbock in Peking bei aller offenen Kritik betonte, dass man wirtschaftlich zusammenarbeiten wolle. Gerade für die Grünen-Politikerin ist dies wichtig, weil die Gas-Abhängigkeit von Russland von einer starken Abhängigkeit von China beim Ausbau der Solar- und Windenergie abgelöst wurde.
Dazu kommt das Nachdenken in den Hauptstädten der sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten (G7) über den eigenen Einfluss. Chinas überraschender Vermittlungserfolg bei der Annäherung der Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien war ein Schock für die westliche Diplomatie. Die G7-Außenminister dürften bei ihrem Treffen in Japan darüber nachdenken, wie sie mit dem neuen Spieler aus Peking umgehen sollen. Denn so sehr der chinesische Friedensplan für die Ukraine auch belächelt wird: Brasiliens Präsident machte in den vergangenen Tagen klar, wo das mächtige Schwellenland steht – jedenfalls nicht bei Baerbocks Verurteilung Russlands. In China forderte Lula stattdessen wie seine Gastgeber ein Ende der US-Waffenlieferungen an die Ukraine als Voraussetzung für eine Friedenslösung.
Analyse: Baerbock und Lula in Peking – Die Crux deutscher China-Politik
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Zhu Bing auf Pixabay
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