Berlin, 15. Mrz (Reuters) – Im Morgengrauen gab es am Dienstag noch Meldungen von russischen Raketenangriffen auf Kiew. Wenig später kam die Nachricht, dass drei osteuropäische Regierungschefs als Zeichen der Solidarität nach Kiew reisen wollen. Wirklich abgestimmt sei dies nicht gewesen, hieß es bei EU-Diplomaten in mehreren Hauptstädten – auch wenn Kanzler Olaf Scholz auf Nachfrage notgedrungen vorsichtige Unterstützung äußerte.
Die Initiative der Ministerpräsidenten von Polen, Tschechien und Slowenien folgt einer Reihe von Vorstößen osteuropäischer EU-Länder, in dem Konflikt mehr Druck zu machen. Dazu gehören eine Selbsteinladung des polnischen Präsidenten ins Kanzleramt am 23. Februar oder die Debatte um die Lieferung polnischer Mig-29-Flugzeuge an die Ukraine. Die Frage sei, ob der Trip die Bedingungen für Verhandlungen mit den Russen gefährde oder verbessere, sagte ein EU-Vertreter. „Das bleibt abzuwarten, es ist eine dünne Linie.“
Der Ruf nach einer entschlosseneren westlichen Politik gegenüber Russland und nach mehr Hilfe für die Ukraine wird umso stärker, je weiter man nach Osten kommt. Verwunderlich ist dies nicht. In Polen etwa ist der innenpolitische Druck groß, weil man schon nach der Annektion der Krim 2014 mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen musste.
Jetzt sind es fast ebenso viele innerhalb von nur drei Wochen. Der Kurs der Nato und der EU wird deshalb von Polen als zu zögerlich empfunden. Dazu kommt eine sehr viel größere Angst, dass die Ukraine nur ein Vorspiel für weitere russische Aggressionen sein könnte – eine Meinung, die im Westen und auch in Berlin nicht unbedingt geteilt wird.
Aber die Nervosität in den früheren Ostblock-Staaten hat zugenommen, weil Putin eben nicht nur einen begrenzten Konflikt im Südosten der Ukraine vom Zaun gebrochen hat, sondern die gesamte Ukraine angreift. Falle die Ukraine, dann sei das Baltikum das nächste Ziel des russischen Präsidenten, sagte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu Reuters.
Diese Sorge wird in einigen früheren Sowjetrepubliken geteilt. Das führte dazu, dass die Nato ihren Schutz der östlichen Außengrenzen mittlerweile deutlich aufgestockt hat. „Das hat die Sorgen etwas gedämpft“, heißt es in Regierungskreisen in Berlin. US-Präsident Joe Biden hat gerade erneut betont, dass man „jeden Zentimeter“ Nato-Bodens verteidigen werde.
Die Differenzen über den Umgang mit der Ukraine sind aber geblieben. Auf dem informellen EU-Gipfel sagte Litauens Präsidentin Gitana Nauseda, dass man sich ein klareres Signal für einen EU-Beitritt der Ukraine gewünscht hätte. Statt dessen bremsten sowohl Scholz als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei aller Solidarität – und verwiesen darauf, dass man doch nicht die Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan übergehen dürfe.
Auf keinen Fall will man eine Ausweitung des Konflikts auf die EU oder die Nato riskieren. Der polnische Vorstoß zur Lieferung der Mig-29-Kampfjets wurde von den USA mit dem Argument abgelehnt, dass man keine Konfrontation der Nato mit Russland wolle. Auch bei der Reise der drei EU-Regierungschefs schwang deshalb bei EU-Diplomaten die Sorge mit, dass es einen Zwischenfall geben könne, der – gewollt oder ungewollt von russischer Seite – zu einer Ausweitung des Krieges führen könnte.
Übrigens sind sich die Osteuropäer und die Visegard-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn gar nicht einig in ihrer Ukraine-Politik. Ungarn etwa gehört wegen der extrem hohen Gasabhängigkeit von Russland zu den stärksten Bremsern des von der Ukraine geforderten Gasboykotts gegen Russland. Aber die Regierungschefs Polens, Tschechiens und Sloweniens sind sich einig – und kassieren durchaus Lob: „Das ist ein starkes Zeichen der EU-Solidarität und Unterstützung unter hohem eigenen Risiko“, sagte der Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Nicolai von Ondarza, zu Reuters.
Und auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich signalisiert Zustimmung zu der Reise: „Ich bin sicher, dass die Regierungschefs ihre Reise auch unter Sicherheitsbedingungen gut vorgeplant haben“, sagte er. „Jedes Zeichen an die Ukraine, die ukrainische Regierung, die ukrainischen Bevölkerung… ist wichtig“, fügte Mützenich hinzu. „Ich schätze jeden direkten Austausch, wenn er unter den Rahmenbedingungen möglich ist.“
Am Rande der Eskalation – EU-Osteuropäer drängen im Ukraine-Krieg
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