Oslo, 05. Jan – Kaum ein Land der Welt hat in den Zeiten der Energie- und Klimakrise eine solche Anziehungskraft auf die Bundesregierung wie Norwegen. So reist Wirtschaftsminister Robert Habeck schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres in das Land im Norden. Beim ersten Mal im März galt die Sorge kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor allem der Gas-Versorgung. Habeck ebnete den Weg für schwimmende Flüssiggas-Terminals – gechartert von norwegischen Reedern – von denen das erste bereits in Wilhelmshaven seinen Betrieb aufgenommen hat. Jetzt sollen mit Blick auf die Klimakrise die nächsten Schritte folgen.
Denn Norwegen hat fast alles, was Deutschland als energiehungrige, größte Industrienation Europas in der Russland- und Klimakrise braucht: Stromversorgung praktisch vollständig aus erneuerbaren Energien, großes Potenzial zum weiteren Ausbau und Einsatz für eine grüne Wasserstoff-Produktion, Erdgas- und Öl-Reserven als Absicherung und für den Export. Was Energie betrifft, ist Norwegen mit seinen etwas über fünf Millionen Einwohnern eine Supermacht in Europa. Und gilt zudem noch als lupenreine Demokratie.
Deutschlands Vorteil: Die beiden Länder sind zwar geografisch keine Nachbarn, aber beim Thema Energieversorgung doch dicht zusammen. Zwei große Gas-Pipelines führen durch die Nordsee nach Niedersachsen. Norwegen deckt nach dem Ausfall Russlands inzwischen über ein Drittel des deutschen Erdgasbedarfs und ist damit größter Lieferant. Zudem wurde 2021 das Seekabel NordLink in Betrieb genommen, mit dem die Strommärkte eng zusammenrücken. Jetzt soll noch eine Verbindung für Wasserstoff nach Deutschland bis 2030 folgen, der mit grüner Elektrizität in Norwegen produziert wird.
RUND 1600 WASSERKRAFTWERKE
Seit über 100 Jahren produziert Norwegen seinen Strom fast vollständig aus Wasserkraftwerken, rund 1600 verteilen sich über das gebirgige Land. Dies macht Norwegen zu einem der 20 größten Stromexporteure der Welt. Und dies ist ein Grund, warum Norwegen bei der Umstellung auf E-Mobilität an der europäischen Spitze steht. Fast 80 Prozent der 2022 neuzugelassenen Autos hatten einen Elektro-Antrieb – auch dank üppiger staatlicher Förderung. Ab 2025 sollen nur noch emissionsfreie Autos fahren.
Der Bedarf an grünem Strom wächst allerdings immer weiter – auch mit Blick auf die Produktion von Wasserstoff, den das Land etwa für den Schiffsantrieb oder den Schwerlastverkehr im langgestreckten Land benötigt. Das Potenzial ist da: Nur etwa 3,5 Prozent des Stroms werden derzeit von Windrädern erzeugt. Dabei weht der Wind hoch im Norden und besonders vor der Küste kräftig. Schwimmende Offshore-Windräder sollen daher bald neben den Öl- und Gas-Bohrinseln verankert werden und so zum Symbol für die neue Zeit werden.
Und mit dem Strom soll der nächste Exportschlager Norwegens kommen: Grüner Wasserstoff soll im großen Stil per Elektrolyse direkt an den Windrad-Plattformen erzeugt werden. Per neuer Pipeline soll er in die Industrieregionen Deutschlands gepumpt werden. Bis 2030 soll sie stehen und auch gleich entlang der neuen Offshore-Windparks führen.
CO2-SPEICHER ALS NEUES GESCHÄFTSMODELL
Letztlich könnte Norwegen sogar auf zwei Wegen ein Geschäft machen: Entweder es produziert Wasserstoff mit grünem Strom selbst und liefert ihn nach Deutschland. Oder aber es nimmt das Klimagase CO2 von deutschen Firmen ab und speichert es in seinen alten Erdgas-Lagerstätten unter der Nordsee.
Deutsche Stahl- oder Chemiefirmen wollen die CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage), um Emissionen bei chemischen Prozessen klimafreundlich zu entsorgen. Das war besonders bei den Grünen in Deutschland unbeliebt, da sie Zweifel an der Verlässlichkeit der Technik hatten. Doch Habeck hat bereits eine Wende eingeleitet und will die Speicherung für unvermeidliches CO2 selbst in Deutschland möglich machen, wo es derzeit noch verboten ist. „Lieber das CO2 in die Erde als in die Atmosphäre“, sagte er in Oslo.
Diese Technik ist in Norwegen schon weit vorangeschritten. „Longship“ – das Langschiff der Wikinger – heißt das Projekt, mit dem das CO2 von Europas Industrie eingesammelt werden soll. Denn bei vielen Industrie-Prozessen wird sich die CO2-Produktion nicht ganz vermeiden lassen. Auch die Niederlande und Großbritannien sehen ihre ausgebeuteten Erdgasfelder unter der Nordsee als CO2-Lagerstätten. Während Norwegen derzeit mit seinem Export von Erdgas riesige Gewinne einfährt, könnte dies mit dessen klimaschädlichen Abfall CO2 nocheinmal der Fall sein.
Alles außer Sonne – Was Norwegen so anziehend macht
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von travel_pics auf Pixabay
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