München, 20. Mrz – Mit der Zwangsfusion der Credit Suisse ist plötzlich eine vermeintlich exotische Anlageklasse ins Blickfeld gerückt: die AT1-Anleihen, auch „CoCos“ (Contingent Convertible Bonds) genannt. Diese Papiere, die zwar fest verzinst werden, aber für die Banken fast so gut wie Eigenkapital sind und deshalb auch als „zusätzliches Kernkapital“ (AT1, Additional Tier-1 Capital) gelten, sind ein Kind der Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008. Sie sollten einen zusätzlichen Puffer bieten, wenn die Kapitaldecke einer Bank in der Krise zu dünn wird. Bei Credit Suisse verfügte die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma, dass die Papiere im Zuge der Fusion von 16 Milliarden Franken auf Null abgeschrieben werden – obwohl die Bank bis zuletzt deutlich über den geforderten Kernkapitalquoten lag.
Normalerweise haben „CoCo-Bonds“ einen „Auslöser“ (Trigger). Wenn die harte Kernkapitalquote (CET1) unter diesen Trigger – etwa sieben Prozent – fällt, werden sie entweder in Eigenkapital umgewandelt oder – in den meisten Fällen – einfach wertlos. Das Geld der Investoren ist dann weg. Sie sind entsprechend riskant und werden entsprechend hoch verzinst: Eine in Dollar begebene AT1-Anleihe der Credit Suisse hatte einen Kupon von 4,5 Prozent, stürzte am Montag aber auf ein Prozent ihres Nennwertes. Seit der Erfindung der „CoCo-Bonds“ vor knapp zehn Jahren hatten nur die Anleger der spanischen Banco Popular bei der Übernahme durch die Bank Santander ihre Papiere abschreiben müssen, wie Neil Wilson von Markets.com feststellte.
Verwundert, wenn nicht entsetzt, zeigten sich die Anleger in AT1-Anleihen der Credit Suisse, dass sie komplett leer ausgehen sollen, während die Aktionäre wenigstens noch drei Milliarden Franken für ihre Papiere bekommen sollen. Dabei gelten Aktien grundsätzlich als riskanter als Anleihen. „Bizarre, merkwürdige Parallelwelt, in der Aktieninhaber etwas bekommen und Besitzer von Hybdridanleihen leer ausgehen“, sagte BondAdviser-Manager John Likos. „Die Hierarchie des Kapitals unverfroren einfach umzudrehen, wird Folgen haben“, schrieb Wilson. Das habe sich bereits am Montag in den Bankaktien gezeigt. Selbst Italiens Wirtschaftsminister Giovanni Giorgetti sagte in Mailand, er sei davon „überrascht“.
Dass die Schweizer so vorgegangen seien, werde „CoCo“-Bonds“ anderer Banken in Europa schaden, aber auch die Refinanzierung und die Kapitalkosten der Institute allgemein verteuern, schrieben die JPMorgan-Analysten Kian Abouhossein und Amit Ranjan am Montag. Ein börsennotierter AT1-Anleihen-Fonds (ETF) von Invesco stürzte am Montag um bis zu 14 Prozent ab.
EZB SETZT WEITER AUF „COCO-BONDS“
Die Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB), die Banken-Abwicklungsbehörde der EU und die EU-Bankenaufsicht EBA betonten, echtes Eigenkapital werde normalerweise zuerst zum Ausgleich von Verlusten herangezogen, AT1 sei erst an der Reihe, wenn das Eigenkapital aufgebraucht sei. So habe man das in der Vergangenheit stets gemacht und werde das auch bei künftigen Kriseninterventionen so halten. „Additional Tier 1 ist und bleibt ein wichtiger Baustein der Kapitalstruktur europäischer Banken“, hieß es in der gemeinsamen Mitteilung.
Die Credit Suisse hat nach eigenen Angaben AT1-Anleihen im Wert von 15,8 Milliarden Franken verkauft und war damit nach Angaben aus Investorenkreisen der weltweit zweitgrößte Emittent dieser Papiere nach der britischen HSBC. Insgesamt geht es um einen 210 Milliarden Euro großen Markt, durch den nach der Entscheidung Schockwellen gingen. Die Deutsche Bank hat „CoCo-Bonds“ im Volumen von 9,15 Milliarden Euro begeben.
Deutsche Banken beeilten sich zu erklären, dass sie von den Verlusten mit AT1-Anleihen der Credit Suisse nicht oder kaum betroffen seien. Das Engagement der Deutschen Bank sei „nahe Null“, erklärte Deutschlands größtes Geldhaus. Auch die Commerzbank, die Fondsgesellschaften Union Investment und Deka, die DZ Bank und die Helaba halten nach eigenen Angaben keine AT1-Anleihen der CS.
Hintergrund: Böses Erwachen bei „CoCo“-Anlegern von Credit Suisse
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Talpa auf Pixabay
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