Stockholm/Västeras, 03. Feb – Als Joe Biden am 16. August 2022 seine präsidiale Unterschrift unter eines der größten Konjunkturprogramme der US-Geschichte setzte, ahnte man wohl weder in Lohe-Rickelshof noch in Norderwöhrden die Konsequenzen. Die Dörfer im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein wähnten sich bis dahin auf dem Sprung in eine verheißungsvolle Zukunft: Mehr als vier Milliarden Euro wollte der schwedische Konzern Northvolt rund um die Kleinstadt Heide investieren und dort eine der modernsten Batterie-Fabriken der Welt hochziehen.
3000 Menschen sollten ab 2025 die Herzstücke für die klimafreundliche Fortbewegung fertigen. Northvolt-Chef Peter Carlsson war noch im Juni voll des Lobes für die Region gewesen: „Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt keine Anzeichen dafür, dass dort große Steine im Weg zur Gründung liegen werden“, sagte er. Auf einmal aber war alles anders.
Carlsson fiel auf, dass die Energiepreise reichlich hoch in Deutschland wären. Die Fabrik in Heide könne sich verzögern, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Schlimmer noch für den Norden Deutschlands: Er brachte die USA als neuen Standort ins Spiel: „Wir wollen weiter ein europäischer Champion und Marktführer sein. Aber wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir möglicherweise der Expansion in den USA zunächst Vorrang gegenüber Europa geben.“
Das ist der Grund warum an diesem Freitag Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck durch die Hallen des Northvolt Entwicklungszentrums in Västeras bei Stockholm stapft und nette Worte über Northvolt sagt. Denn Northvolt und seine Standort-Entscheidungen könnten ein Menetekel werden für das, was Europa von jenseits des Atlantiks droht. Bidens Inflation Reduction Act (IRA) soll zwar in erster Linie mit Hilfen von über 350 Milliarden Dollar die US-Wirtschaft klimafreundlich umsteuern.
Zugleich aber übt das Programm einen starken Sog auf Firmen aus Europa aus: Zum einen werden US-Firmen darin verpflichtet, im Gegenzug zu Hilfen überwiegend in Amerika produzierte Teile zu verbauen. Zum anderen locken Steuervorteile Betriebe mit Sitz in den USA. Und die Energiepreise liegen ohnehin seit Jahren deutlich unter denen Europas.
Northvolt wäre trotz der geplanten Milliarden-Investition so vielleicht nur der Anfang. Die europäische Zukunftsindustrie würde nach Westen schielen, zugleich drohte ein Handelskrise. So versucht Habeck bei Northvolt im Kleinen zu erreichen, was Deutschland und Europa im Großen schaffen will. Habeck, selbst ein Schleswig-Holsteiner, versucht Carlsson von den Vorzügen des Standorts zu überzeugen. „Die Entscheidung wird im ersten Quartal fallen“, verrät Habeck schon zu Beginn seiner Schweden-Reise. „Insofern ist es auch ein Besuch, wo wir darüber reden werden, wo ich werben werde, wie geeignet und wichtig dieser Standort ist. Aber auch was Deutschland zu leisten bereit ist, um diesen Standort möglich zu machen.“ Er weiß allerdings, dass dies allein nicht reicht.
EU IST ALARMIERT
Auch in Brüssel ist man seit Monaten alarmiert und hat eine Gegenprogramm entworfen: Es heißt „Net Zero Industry Act“ und die EU-Kommission verspricht darin ähnliche Anreize sowie schnellere Genehmigungsverfahren für Vorhaben der Industrie. Kommende Woche wollen die EU-Staats- und Regierungschefs über den Plan beraten.
Koordiniert werden soll die entscheidende Haltung der Mitgliedsländer dazu von der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft. Auch deshalb war Habeck in Stockholm. Am Montag reist er dann mit dem französischen Kollegen Bruno Le Maire in die USA, um dort zu verhandeln. Nach EU-Auffassung verstößt das IRA-Programm gegen das Welthandelsrecht. Zugleich glaubt man aber, dass die USA keinen Handelskrieg mit den Europäern vom Zaun brechen wollen und eine Einigung ohne Subventionswettlauf noch möglich ist.
Da wäre es verheißungsvoll, wenn Northvolt-Chef Carlsson zumindest ein Signal senden würde, dass Heide immer noch Priorität hat. Aber Carlsson pokert unter den Augen Habecks weiter: „Es sind einige Dinge im Zusammenhang mit dem Inflation Reduction Act in Bewegung gekommen“, sagt er. Und verweist auf die Bestimmungen, wonach man in den USA für Verkäufe auch selbst produzieren müsse. Auch werde die Nachfrage durch den IRA und das Umsteuern auf klimafreundliche Produkte angeheizt. „Das hat eine Dynamik ausgelöst, mit der wir umgehen müssen“, sagt er und geht. Die Ungewissheit in Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden bleibt.
Hintergrund: Wie Habeck in Schweden für Lohe-Rickelshof und ganz Europa kämpft
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von Annillart auf Pixabay
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