04. Nov – Zusätzliches Wachpersonal, Panzerglas und verstärkte Gebäudewände aus schuss- und feuerresistentem Kevlar: In den USA rüsten sich zahlreiche Stimmlokale für die Kongresswahlen am 08. November. Quer über das Land verteilt befürchten Wahlaufseher, dass es zu Unruhen oder Übergriffen kommen könnte. Sie reagieren auf eine Flut von Drohungen und Einschüchterungen durch Verschwörungstheoretiker und andere Wahlleugner, die die Niederlage von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren nicht akzeptieren wollen.
Also schulen sie ihre Mitarbeiter und Wahlhelfer darin, Konflikte zu deeskalieren oder wie man im Fall eines Angriffs Schützen am besten ausweichen kann. Einige statten ihre Wahllokale mit Einlasssummern oder Alarmknöpfen aus. Im Landkreis Leon County in Florida wurde in Videoüberwachung und kugel- und bombenfestes Glas investiert, wie der dortige Wahlleiter Mark Earley erzählt. Schon oft habe er feindselige und vulgäre Anrufe von Fremden erhalten. „Ich muss mir Sorgen machen, wenn meine Mitarbeiter das Gebäude verlassen und nach Einbruch der Dunkelheit zu ihren Autos gehen.“
Bis vor kurzem wurden solche Bedrohungsszenarien als rein hypothetisch angesehen. Seit den 1960er-Jahren gab es in den USA nur wenige Fälle von Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen. Doch jetzt gelten solche Risiken als real, sagt Tammy Patrick vom Democracy Fund, einer überparteilichen Stiftung, die sich für den Schutz der Demokratie einsetzt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie eintreten könnten, ist definitiv gestiegen. Also nehmen sich das alle zu Herzen.“
Die Nachrichtenagentur Reuters hat sich 30 Wahlbüros genauer angesehen. Die Hälfte davon hat ihre Sicherheitsvorkehrungen verschärft im Vorfeld der Wahlen, bei denen neben dem Kongress auch zahlreiche Abstimmungen auf bundesstaatlicher und kommunaler Ebene abgehalten werden. Reuters hat sich auf Wahllokale konzentriert, die in Bundesstaaten liegen, die besonders umkämpft sind zwischen Demokraten und Republikanern, weil der Ausgang dort offen ist und sie am Ende wahlentscheidend sein könnten. Die Recherche zeigt, wie Wahlaufseher gerade in diesen sogenannten Battleground States auf Bedrohungen reagieren.
„WIR FÜHLEN UNS WIE ZIELSCHEIBEN“
Im Landkreis Champaign County im Bundesstaat Illinois etwa denkt Wahlleiter Aaron Ammons über die Einrichtung von Metalldetektoren nach. Er berichtet von Besuchern seines Wahllokals, die bedrohlich aufgetreten seien und die Räumlichkeiten sowie Mitarbeiter gefilmt hätten. „Wir fühlen uns dadurch wie Zielscheiben“, sagt er. Aber wie einige seiner Kollegen in gut einem Dutzend Bundesstaaten klagt auch er darüber, wegen bürokratischer Hürden nicht genug Geld zur Verfügung gestellt zu bekommen, um die erwünschten Sicherheitsverbesserungen umzusetzen. Dabei stünden er und sein Team genauso wie „unsere Männer und Frauen in Uniform … an der Front der Demokratie“.
Kürzlich hätte er gesehen, wie jemand sein Haus gefilmt habe, sagt Ammons. Im August sagte er vor dem Kongress aus, dass er und seine Frau bereits vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2020 anonyme Nachrichten erhielten, in denen das Leben ihrer Tochter bedroht worden sei.
Das US-Justizministerium hat nach eigenen Angaben über 1000 Nachrichten überprüft, die Wahlhelfer seit der Abstimmung von 2020 erhielten. Mehr als 100 davon könnten eine Strafverfolgung rechtfertigen. In sieben Fällen wurde bislang Anklage erhoben. Kürzlich fiel das erste Urteil: Ein Mann aus Nebraska erhielt wegen Bedrohung eines Wahlhelfers eine 18-monatige Gefängnisstrafe.
„TRUMPS RHETORIK HAT DEN BRUNNEN VERGIFTET“
Viele Wahlhelfer machen für die Lage Desinformationen verantwortlich wie etwa Trumps nicht belegte Behauptung, er sei 2020 um seinen Wahlsieg betrogen worden. Die Rhetorik des Ex-Präsidenten habe „den Brunnen wirklich vergiftet“, sagt Justin Roebuck. Er ist Wahlleiter im ländlich geprägten konservativen Landkreis Ottawa County in Michigan und wie Trump Republikaner. Andere Kandidaten hätten sich von Trumps Verhalten inspirieren lassen und würden Zweifel über die Wahlen streuen. Roebucks Büro bot dieses Jahr unter anderem ein Rollenspiel an, in dem es darum ging, wie man auf Gewaltvorfälle reagiert.
Einer von fünf Wahlbeamten in den USA sagte laut einer im März veröffentlichten Studie des Politikinstituts Brennan Center for Justice, dass er vermutlich nicht mehr in seinem Job sein wird bis zur nächsten großen Wahl in zwei Jahren, wenn neben dem Kongress auch wieder das Präsidentenamt bestimmt wird. Als Gründe nannten Befragte Stress, Angriffe von Politikern und baldiger Eintritt in den Ruhestand.
Die anhaltende Verbitterung im Zuge der Wahlen von 2020 hat aber Behördenvertretern zufolge auch die Wahlhelfer verschreckt, die nur zeitweise einspringen, um etwa beim Auszählen von Stimmzetteln zu helfen. Philadelphia hat wegen der Probleme, Wahlhelfer zu finden, deshalb die Bezahlung für solche Tageskräfte von 120 Dollar auf 250 Dollar aufgestockt, erzählt Omar Sabir, einer der drei Wahlkommissare der Stadt. Auch er habe 2020 Todesdrohungen erhalten. Man müsse ständig auf der Hut sein, sagt er. „Manchmal habe ich Alpträume, dass jemand auf mich zukommt und mir Schaden zufügt.“
Panzerglas und Wachleute – US-Stimmlokale rüsten sich für Wahl
Quelle: Reuters
Titelfoto: Bild von Pete Linforth auf Pixabay
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