Prag/Brüssel, 07. Okt – Schon bevor die neue Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) am Donnerstag in Prag das erste Mal zusammenkam, bremste Kanzler Olaf Scholz. Auf keinen Fall dürfe aus dem Gesprächsformat eine neue Organisation werden, mahnte er. Es sei gut und richtig, dass Staats- und Regierungschefs aus 44 Ländern vertraulich miteinander reden könnten – also mehr als die 27 EU-Regierungen. „Aber es geht nicht darum, eine neue Institution zu schaffen.“ Doch am Ende des Gipfels wurden bereits Folgetreffen benannt: In Moldau, in Spanien und dann in Großbritannien.
Dabei hatte Scholz das Spannungsfeld des politischen Großereignisses bereits beschrieben. Denn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die EPG zur Überraschung Vieler im Mai angeregt, um ein Forum zu finden, in dem man ohne Russland und außerhalb der EU über die Zukunft des Kontinents reden kann. Das neue Format soll die Brücke zwischen den EU-Staaten und Ländern bilden, die nicht Unions-Mitglied sein wollen (Großbritannien), sein dürfen (Türkei) – oder noch Jahre brauchen, um aufgenommen zu werden (etwa die Westbalkan-Staaten). „Es ist zumindest ein Achtungserfolg, dass die britische Premierministerin und der türkische Präsident tatsächlich anreisten“, sagte Nicolai von Ondarza, Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zu Reuters. Prag war zudem ein Zeichen, wie isoliert Russland zumindest in Europa ist.
UNVERBINDLICHKEIT ALS PRINZIP – ZUMINDEST DERZEIT
Allerdings zeigte das halbtägige Treffen auf der Prager Burg auch die Probleme: Denn die Rundtischgespräche über Bedrohungen für Frieden und Sicherheit sowie über die Krisen in den Bereichen Energie, Klima, Wirtschaft und Einwanderung blieben alle unverbindlich. Gemeinsame politische Beschlüsse waren nicht geplant. „Mittelfristig wird es aber schon nötig sein, dass man solche Erklärungen formuliert“, meint von Ondarza. Europa soll zu bestimmten Punkten mit einer Stimme sprechen.
Gerade die Unverbindlichkeit der Treffen ermöglichte aber auch, dass viele Regierungschefs ihren Aufenthalt in Prag auch für zahllose bi- oder trilaterale Treffen nutzten – ähnlich wie bei der UN-Vollversammlung, nur auf europäischer Ebene. So sind Absprachen zwischen den Chefinnen und Chefs im Zehn-Minuten-Takt möglich. Die Anreise der britischen Premierministerin Liz Truss wurde in Prag dabei als Signal gewertet, dass London sich in der Not doch wieder um mehr Kontakte nach Europa bemüht – ohne gleich den Brexit infrage stellen zu müssen.
Scholz wies darauf hin, dass man mit dem Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bereits zwei Institutionen für den Dialog habe. Unausgesprochen steht also die Warnung einer Doppelung europäischer Abstimmungsgremien im Raum. Zudem hatte der Kanzler gewarnt, dass das neue Gemeinschaftsformat kein Ersatz für die EU-Erweiterung sein dürfe. „Wir wollen keine bestehenden Kooperationsformate ersetzen“, beteuerte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala als Gastgeber nach dem Treffen.
Die Scholz-Warnung vor einer Institutionalisierung und Parallelstrukturen basiert auf Erfahrungswerten. Zum einen wird Frankreich und der EU-Kommission in deutschen Regierungskreisen traditionell unterstellt, auf Probleme immer gerne mit der Gründung neuer Organisationen zu reagieren – die dann zwar wie die Mittelmeer-Union keine Lösung, aber Posten bringen. Prompt erwähnte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vor dem Treffen in einem Blog, dass noch die endgültige Mitgliedschaften in der EPG, deren Beziehung zur EU und die Frage eines eigenes Budgets geklärt werden müssten. Einige sprechen sogar von einer „Charta der EPG“. Und etwa die G20, die als vertrauliche, informelle Chefinnen- und Cheftreffen der wichtigsten Industriestaaten der Welt starteten, zeigen, welche Eigendynamik solche internationale Treffen entwickeln können – und wie der Druck auf aussagekräftige Abschlusserklärungen von Treffen wächst.
Auch Daniela Schwarzer, Direktorin der Open Society Foundation, fordert zusammen mit Jean Pisani-Terry vom Brüsseler Bruegel-Institut eine Institutionalisierung der EPG. Die neue Gemeinschaft müsse sich ehrgeizige Ziele und einen langfristigen Zeitplan geben und die zentrale Plattform für den politischen Dialog in Europa werden. Genau diese Entwicklung hält SWP-Experte von Ondarza aber für falsch. „Wenn die EPG eine Chance haben soll, dann nur als möglichst flexibles Treffen auf Chefebene“, sagte er. Denn sobald man die Strukturen fixiere, bekomme man Abstimmungsprobleme etwa bei der Frage, ob nun die EU als Kern führend sein solle oder nicht. Das könnte Großbritannien wieder abschrecken. Schon beim Treffen in Prag halfen aber EU-Beamte bei der Organisation.
Skeptiker weisen zudem darauf hin, dass einfach zu viele Nationen am EPG-Tisch sitzen, die sich spinnefeind sind – wie Aserbaidschan und Armenien oder Griechenland und die Türkei. Diese Animositäten haben auch den Europarat weitgehend lahmgelegt. Französische Beamte entgegnen, dass die G20 ebenso vielfältig sind und es schaffen, sich in Fragen wie den internationalen Finanzregeln zu einigen. Genau diese Möglichkeiten werden aber angesichts der G20-Mitgliedschaften Russlands und China zunehmend infrage gestellt.
EPG – Europäer schaffen Gesprächsplattform ohne Russland
Quelle: Reuters
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