Kiew/Rzeszow, 08. Sep – Die Ukraine verbucht nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj bei ihrer Gegenoffensive auch im Osten des Landes Geländegewinne. Im Gebiet der zweitgrößten Stadt Charkiw sei es den ukrainischen Streitkräften gelungen, einige Ortschaften zu befreien, sagte Selenskyj in seiner nächtlichen Video-Botschaft. „Diese Woche haben wir gute Nachrichten aus der Region Charkiw“, verkündete der Präsident. „Und ich denke, jeder Ukrainer ist stolz auf unsere Krieger.“ Rückendeckung erhält die Regierung in Kiew weiter vom Westen. US-Außenminister Antony Blinken traf am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt ein und kündigte ein neues Hilfspaket im Volumen von zwei Milliarden Dollar an.
Der ukrainische Brigadegeneral Olexsij Gromow sagte, die Streitkräfte hätten im Süden und Osten des Landes bislang mehr als 700 Quadratkilometer Fläche von Russland besetztem Gebiet zurückerobert. Dabei seien die ukrainischen Truppen bis zu 50 Kilometer tief in feindliches Gebiet eingedrungen. In der Region Charkiw seien mehr als 20 Ortschaften eingenommen worden. Der Einsatz dauere an. Die Region Charkiw im Nordosten der Ukraine liegt unweit der Grenze zu Russland. Kurz nach Beginn der Invasion am 24. Februar geriet die Stadt unter andauernden Beschuss, den russischen Streitkräften ist es aber nicht gelungen, die Kontrolle dort zu übernehmen. In den vergangenen Wochen hat Russland das Gebiet aber wieder ins Visier genommen.
Selenskyj sagte allerdings, es sei noch zu früh um mitzuteilen, welche Ortschaften die ukrainischen Truppen zurückerobert hätten. Ein russischer Vertreter sagte, die Streitkräfte hätten sich gegen die ukrainische Offensive gestemmt und verhindert, eine Schlüsselstadt aufgeben zu müssen. In der Nacht zum Donnerstag wurden bei Raketen- und Artillerie-Beschuss russischer Truppen nach ukrainischen Angaben mehrere Menschen getötet. Attacken wurden aus verschiedenen Landesteilen gemeldet. In der Region Donezk wurden laut den dortigen Behörden sieben Zivilisten getötet, im Großraum Charkiw fünf Menschen verletzt. In der Region Saporischschja seien mindestens elf Gebäude beschädigt worden, schrieb Gouverneur Walentyn Resnitschenko auf Telegram.
In dem Gebiet liegt auch Europas größtes Atomkraftwerk, in dessen Umfeld es erneut zu schweren Gefechten kam. Der ukrainische Generalstab des Militärs erklärte am Donnerstagmorgen, in den vergangenen 24 Stunden habe es Angriffe mit Panzern und Granatwerfern gegeben. Der Chef des Regionalrats von Dnipro, Mykola Lukaschuk, schrieb bei Telegram, die Stadt Nikopol werde von russischen Truppen aus der Stadt Enerhodar heraus beschossen. In Enerhodar liegt das AKW Saporischschja, das von russischen Truppen kontrolliert, aber von ukrainischen Technikern betrieben wird. Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, die Anlage zu beschießen.
LAMBRECHT KÜNDIGT WEITERE HILFEN AN
US-Außenminister Blinken traf in Kiew mit Außenminister Dmytro Kuleba zusammen. Ein US-Regierungsvertreter erklärte, von den zwei Milliarden Dollar gehe die Hälfte als Militärhilfe direkt an die Ukraine. Der Rest verteile sich unter anderem auf die Länder des westlichen Balkans, Osteuropa, Moldawien und Georgien, die aus Sicht der Regierung in Washington ebenfalls von Russland bedroht seien. Das Geld solle dabei helfen, die Souveränität dieser Staaten zu verteidigen, deren Militär zu modernisieren und die Partnerschaft mit der Nato zu stärken. Zudem solle die Fähigkeit gestärkt werden, sich gegen „russischen Einfluss und Aggression zu wehren“, erklärte der US-Regierungsvertreter.
Weitere militärische Hilfe für die Ukraine stand auch im Mittelpunkt eines Treffens der sogenannten Kontaktgruppe auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein in Rheinland-Pfalz. „Der Krieg hat einen Schlüsselmoment erreicht“, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin. Daher müsse sich auch die Kontaktgruppe neu positionieren. Austin gab er bekannt, dass die USA der Ukraine weitere Waffen im Volumen von 675 Millionen Dollar liefern werde. Die USA hatten die Kontaktgruppe in Ramstein im April ins Leben gerufen. Ihr gehören neben den USA auch Deutschland und Großbritannien sowie weitere Nato-Staaten an.
Fraglich ist, ob der Westen nun bereit ist, der Ukraine auch Kampfpanzer eigener Produktion zu liefern. Dies war bislang nicht der Fall, obwohl die Ukraine nach eigenen Angaben solches Gerät jetzt dringend benötigt. Auch Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht kündigte weitere Hilfen an. Zusammen mit den Niederlanden werde ein Anti-Minen-Programm gestartet. Dabei würden 20 ukrainische Soldaten ausgebildet zur Minensuche und -räumung sowie der Beseitigung von Sprengfallen. Zudem bereiteten Deutschland und die Niederlande ein Winterpaket für die ukrainischen Streitkräfte vor. Dazu gehörten Gerät zur Stromerzeugung und Zelte sowie Ausrüstung der Soldaten. Schließlich werde bald die zweite Tranche des Flugabwehrpanzers „Gepard“ und der Brückenlegepanzer „Biber“ ausgeliefert.
Ukraine meldet Geländegewinne – „Stolz auf unsere Krieger“
Quelle: Reuters
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