Berlin, 04. Aug (Reuters) – Angesichts der aus dem Ruder laufenden Inflation treibt die britische Notenbank den Leitzins massiv nach oben. Sie hob ihn am Donnerstag um einen halben Prozentpunkt auf 1,75 Prozent an – und damit so stark wie noch nie seit der 1997 erlangten Unabhängigkeit der Bank of England (BoE) von der Politik. Ökonomen sagten in ersten Reaktionen:
BERND WEIDENSTEINER, CHRISTOPH BALZ, COMMERZBANK:
„Nach unserer Einschätzung reichen die bisherigen Zinserhöhungen nicht aus, die Inflation in den Griff zu bekommen. So hat das Zinsniveau mit 1,75 Prozent vermutlich noch nicht einmal das ’neutrale Niveau‘ erreicht, bei dem die Wirtschaft weder angeschoben noch gedämpft wird. Wir erwarten daher unverändert bis Anfang 2023 weitere Zinserhöhungen auf dann 2,75 Prozent. Nach den jüngsten Schritten und vor dem Hintergrund der schwächeren Konjunktur halten wir es aber für wahrscheinlich, dass auf der nächsten Sitzung im September wieder ein kleinerer Schritt um 25 Basispunkte erfolgt.“
JANET MUI, BREWIN DOLPHIN:
„Der Schritt steht im Einklang mit den übergroßen Zinserhöhungen, die andere große Zentralbanken in letzter Zeit vorgenommen haben. Die Finanzmärkte gehen davon aus, dass der Bankzins irgendwann im Jahr 2023 bei fast 3 Prozent seinen Höchststand erreichen wird.
Angesichts des bevorstehenden enormen Anstiegs der Energierechnungen und der weiteren Verschärfung der finanziellen Bedingungen für einige Haushalte und Unternehmen wird die Krise der Lebenshaltungskosten ein brennendes politisches Thema für den nächsten Premierminister.“
DIRK CHLENCH, LBBW:
„Es überrascht nicht, dass die Londoner Währungshüter auf ihrer jüngsten Sitzung ihren Leitzins nicht um 25, sondern um 50 Basispunkte erhöht haben. Angesichts einer aktuellen Inflationsrate von 9,4 Prozent und der Aussicht, dass die Inflation im Herbst aufgrund der absehbaren Preiserhöhungen der britischen Energieversorger über die Marke von zehn Prozent springen wird, blieb der Bank of England kaum eine andere Option.
Es mag aus Sicht eines Beobachter der EZB überraschend erscheinen, aber die Bank of England steht im Vereinigten Königreich unter öffentlicher Kritik für einen als zu expansiv empfundenen Kurs ihrer Geldpolitik. Dabei ist die Bank of England bereits im Dezember 2021 auf einen Zinserhöhungspfad eingeschwenkt und damit früher als andere Zentralbanken großer Länder.
Dessen ungeachtet sollte der Einbruch der Konsumentenstimmung, das nur langsame Überwinden der Lieferkettenproblematik sowie die merkliche Verschlechterung des außenwirtschaftlichen Umfeldes gegen Jahresende 2022 ein Nachlassen des Preisaufwärtsdruck bewirken und somit die Bank of England bewegen, ihren Zinserhöhungskurs bereits bei einem Leitzinsniveau von 2,25 Prozent zu beenden.“
SAMUEL FULLER, FINANCIAL MARKETS ONLINE:
„Die unabhängige Bank of England hat die Zinssätze noch nie so stark angehoben. Aber das bedeutet nicht, dass die Inflation jetzt zurückgeht.
Es mag es nicht so schlimm kommen wie in der Türkei, wo die Inflationsrate 80 Prozent erreicht. Aber das wird ein schwacher Trost sein, wenn die Energieknappheit das Vereinigte Königreich im neuen Jahr in dunkle und ungemütliche Gefilde drängt. Offen gesagt, es ist eine wirtschaftliche Zeitbombe, und die Zinsen können nur in eine Richtung gehen.“
Ökonomen zum Rekord-Zinssprung der Bank of England
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