Frankfurt, 09. Jun (Reuters) – Die Europäische Zentralbank hat Europas Anleger mit ihrem Fahrplan zur bevorstehenden Zinswende am Donnerstag verschreckt. Die EZB rechnet mit einem schärferen Inflationsanstieg als bislang und strafft deswegen ihre Geldpolitik spürbar. Für Juli kündigte EZB-Chefin Christine Lagarde eine Leitzinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte an und signalisierte eine Reihe weiterer Anhebungen, um der Teuerung Herr zu werden. Anleger warfen daraufhin Aktien und Anleihen aus den Depots. An den Bondmärkten drifteten die Risikoaufschläge zwischen Bundesanleihen und südeuropäischen Papieren stärker auseinander. Der EuroEUR= notierte schwächer.
„Die Anpassung der Inflationserwartung hat die Börsen auf dem falschen Fuß erwischt“, sagte Portfoliomanager Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners. Die EZB-Volkswirte erwarten für das laufende Jahr jetzt eine durchschnittliche Teuerungsrate in der Währungsunion von 6,8 Prozent statt wie zuvor 5,1 Prozent. 2023 soll die Teuerungsrate bei 3,5 (bisher 2,1) Prozent liegen.
„Mit einer so deutlichen Anpassung nach oben haben die wenigsten gerechnet“, sagte Altmann. Sie mache sowohl größere Zinsschritte als auch einen länger andauernden Erhöhungszyklus deutlich wahrscheinlicher. An den Terminmärkten wetten die Investoren nun bis Jahresende mit Anhebungen von insgesamt 145 Basispunkten.
Der Dax ging 1,7 Prozent tiefer bei 14.198 Punkten aus dem Handel, der EuroStoxx50 verlor ebenso viel. An den US-Börsen ging es in Erwartung weiterer aggressiver Zinsschritte der Notenbank Fed ebenfalls bergab.
FRAGMENTIERUNG VON ZINSEN IM EURO-RAUM IM FOKUS
An den Anleihemärkten kam es zu einem Ausverkauf. Im Gegenzug kletterten die Renditen der zehnjährigenDE10YT=RR Bundestitel auf ein frisches Acht-Jahres-Hoch von 1,456 Prozent. Auch die Verzinsungen südeuropäischer Bonds zogen deutlich an, die Risikoaufschläge drifteten dabei weiter auseinander. Die Verzinsung der italienischen Papiere schoss um 24 Basispunkte auf 3,715 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 2018.
Die EZB stellt ihre Anleihekäufe zum Monatswechsel ein, was Strategen zufolge vor allem für hoch verschuldete Länder wie Italien zum Problem werden könnte. „Die Fragmentierung der Zinsen im Euroraum könnte sich zum Problem entwickeln, da die Finanzierungsbedingungen dadurch immer weiter auseinanderklaffen“, sagte Jochen Stanzl, Marktanalyst von CMC Markets. „Wir erinnern uns an die Eurokrise, in der das gleiche passiert war und Investoren plötzlich begannen, die Bonität einzelner Euroländer neu zu bewerten.“ Der Euro geriet unter Druck und gab 0,6 Prozent auf 1,0647 Dollar ab.
KAPITALERHÖHUNG DRÜCKT HOCHTIEF – AO WORLD IM MINUS
Am deutschen Aktienmarkt legte Beiersdorf rund 4,1 Prozent zu. Der Kosmetikhersteller profitiert von der steigenden Nachfrage nach Sonnencremes und hebt seine Umsatzprognose einen Tick an. Auch die neuen mittelfristigen Ziele gefielen den Anlegern. Die Titel von Hochtief gaben 5,6 Prozent ab. Der Baukonzern sammelt zur Finanzierung der Komplett-Übernahme der Tochter CimicC 406 Millionen Euro bei Investoren ein.
Abwärts ging es auch mit den Papieren von AO World, die sich in London um 2,9 Prozent verbilligten. Der Online-Elektronikhändler zieht sich aus Deutschland zurück
Dax und Anleihen nach EZB-Zinsplänen unter Druck
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