Berlin, 07. Jan (Reuters) – Die von hartnäckigen Materialengpässen geplagte deutsche Wirtschaft hat ihre Produktion im November überraschend gedrosselt. Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen 0,2 Prozent weniger her als im Vormonat, wie das Bundeswirtschaftsministerium am Freitag mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen mit einem Wachstum von 1,0 Prozent gerechnet. Überraschend gut gelaufen sind die Exporte. Diese legten im November um 1,7 Prozent zum Vormonat zu, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Hier hatten Ökonomen ein Minus von 0,2 Prozent erwartet.
Analysten sagten dazu in ersten Reaktionen:
JENS-OLIVER NIKLASCH, LBBW:
„Diese Zahlen erhellen die Konjunkturlage nicht unbedingt. Das Minus im Produzierenden Gewerbe geht auf die Energieproduktion zurück, die um über vier Prozent sank. Da können vielleicht wetterbedingte Ursachen eine Rolle gespielt haben. Optimisten freuen sich wahrscheinlich über die Zunahme im Kraftfahrzeugbau um über vier Prozent, Pessimisten könnten auf den Maschinenbau verweisen, der fast in derselben Größenordnung schrumpfte. Alles in allem passen die Zahlen aber zur Konjunktur: Wir haben eine große Corona-Lücke und das vierte Quartal 2021 hat nicht dazu beigetragen, diese Lücke kleiner werden zu lassen.“
THOMAS GITZEL, CHEFÖKONOM VP BANK:
„Die Lieferschwierigkeiten bei Rohstoffen und Vorprodukten lassen derzeit keine nachhaltige Erholung der Produktion zu. Dabei legte die Automobilproduktion im November um 4,1 Prozent gegenüber dem Vormonat zu. Allerdings verbuchten andere Branchen wie etwa der Maschinenbau ein Minus. Von der besser laufenden Produktion bei den Autobauern konnten daran angeschlossene Branchen also im November nicht profitieren.
Der Rückgang der Industrieproduktion ist auch gleichzeitig keine gute Nachricht für das deutsche Bruttoinlandsprodukt. Je schlechter die Industrieproduktion im Schlussquartal 2021 abschneidet, desto wahrscheinlicher wird ein neuerliches Abgleiten in die Rezession. Der Dienstleistungssektor litt bereits im vierten Quartal unter den hohen Infektionszahlen. Dabei sitzt die Industrie aufgrund des Materialmangels auf einem Berg nicht abgearbeiteter Aufträge. Würden sich die Verspannungen bei den Lieferketten lösen, könnte die Industrie Corona-bedingte Verluste im Dienstleistungssektor kompensieren.
Ob und wie schnell der Materialfluss in Gang kommt, ist die Millionen-Dollar-Frage des Jahres 2022. Zarte Hoffnungsschimmer auf eine Besserung gibt es. So hat sich der Schiffstau vor den großen Seehäfen in den USA und in China zuletzt verringert. Doch selbst in diesem günstigen Falle, bliebe noch ein weiteres Risiko. Die rasante Verbreitung der hochinfektiösen Omikron-Variante birgt die Gefahr hoher Krankenstände – und zwar weltweit. Letzteres könnte die Lieferketten erneut empfindlich stören und die Produktionsschwierigkeiten noch weiter verschärfen. Die Verwendung der vielen Konjunktive zeigt aber wie groß die Unsicherheit ist. Fakt ist derweil: Fließen Materialien wieder in ausreichendem Maße, kommt die Industrieproduktion kräftig voran.“
JÖRG KRÄMER, CHEFÖKONOM COMMERZBANK:
„Obwohl die Produktion im November überraschend etwas gesunken ist, zeichnet sich für das vierte Quartal gegenüber dem dritten Quartal ein Zuwachs ab. Das liegt besonders an der Autoindustrie, die ihre Produktion nach Verbandsangaben im Dezember vermutlich wegen eines nachlassenden Halbleitermangels zum dritten Mal in Folge steigern konnte. Ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal ist damit unwahrscheinlicher geworden. Allerdings ist es mit Blick auf das erste Quartal für eine Entwarnung zu früh. Denn die neue Corona-Welle dürfte die Lieferungen aus China erneut ins Stocken bringen und den Dienstleistungssektor hierzulande empfindlich einbremsen.“
ALEXANDER KRÜGER, HAUCK AUFHÄUSER LAMPE:
„Nach dem überaus guten Vormonat ist der nochmalige Exportzuwachs ein beachtliches Ergebnis. Insgesamt sieht es nach einem schönen Quartalsplus aus. Zuletzt etwas verringerte Liefer- und Transportengpässe machen Mut, dass der Höhepunkt der Verspannungen vorüber ist. Auch wenn der Normalisierungsweg noch weit ist, wird das hohe Exportniveau 2022 wohl ausgebaut werden.“