Washington, 24. Apr (Reuters) – Die Europäische Zentralbank steuert Insidern zufolge auf eine Zinserhöhung im Sommer zu. Die Währungshüter wollten die groß angelegten Anleihenkäufe so bald wie möglich beenden, sagten neun mit den Überlegungen der EZB vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Erst wenn diese abgeschlossen sind, kann ein Zinsschritt erfolgen.
Die erste Zinserhöhung könnte bereits im Juli erfolgen, spätestens solle es im September so weit sein, sagten die Insider weiter. Wahrscheinlich seien im laufenden Jahr zwei Zinserhöhungen, es könnten aber auch drei werden. Die EZB lehnte eine Stellungnahme ab. Notenbank-Chefin Christine Lagarde hatte am Freitag gesagt, dass die großangelegten Anleihenkäufe im dritten Quartal enden dürften und eine Zinserhöhung in diesem Jahr wahrscheinlich sei.
Der Druck auf die Notenbank zu handeln ist zuletzt immer größer geworden. Denn infolge hochschießender Energiepreise ist die Teuerung im Währungsraum im März auf 7,4 Prozent hochgeschnellt – und liegt deutlich über der Zielmarke der Währungshüter. Die EZB strebt 2,0 Prozent Inflation als optimales Niveau für die Wirtschaft im Euroraum an.
Ein große Hindernis für eine Zinserhöhung war aus Sicht der Währungshüter bisher, dass die Inflation längerfristigen Prognosen der EZB zufolge unter das Zwei-Prozent-Ziel fiel. Beim jüngsten Treffen des EZB-Rats am 14. April seien die Teilnehmer jedoch informiert worden, dass inzwischen sogar die Schätzung für 2024 über dem Ziel liege, sagten mehrere Insider. „Es waren etwas mehr als zwei Prozent, was nach meiner Interpretation bedeutet, dass jetzt alle Kriterien für eine Zinserhöhung erfüllt sind“, sagte eine der Personen. „Als (Chefökonom) Philip (Lane) die Zahlen präsentierte, klatschten die Leute“, sagte ein anderer Insider.
Alle neun Insider sagten, dass die groß angelegten Anleihenkäufe am 30. Juni oder 1. Juli abgeschlossen sein sollen. Damit wäre der Weg dafür frei, dass die EZB auf ihrer Sitzung am 21. Juli die Zinsen erhöhen kann.
„Wenn sich die Aussichten nicht dramatisch ändern, würde ich mich für Juli entscheiden“, sagte eine dritte Person. Einige der Insider sagten jedoch, sie würden es immer noch vorziehen, bis September zu warten. Zum einen, weil bis dahin neue Prognosen verfügbar seien. Zum anderen, um einen größeren geldpolitischen Schritt während der Sommermonate zu vermeiden, da die Liquidität dann geringer ist.
Die EZB hatte die Zinsen zuletzt 2011 erhöht – kurz vor der europäischen Schuldenkrise. Die damalige Entscheidung wird heute weithin als der bisher größte politische Fehler der Euro-Wächter angesehen. „Die Erinnerung an diesen Schritt verfolgt uns immer noch“, sagte eine vierte Quelle. „Manche Leute fürchten, einen ähnlichen Fehler zu machen.“ Alle Währungshüter der EZB betonten, dass sich die Aussichten bis dahin radikal ändern könnten. Die russische Invasion in der Ukraine stelle eine anhaltende Bedrohung für das Vertrauen dar und auch die Corona-Pandemie sei noch nicht vorbei.
DREI ZINSERHÖHUNGEN?
Die nächste Zinssitzung der EZB findet erst am 9. Juni statt. Noch gebe es keine Entscheidungsentwürfe. Fast alle Insider sagten, dass sie dieses Jahr mindestens zwei Zinserhöhungen sehen. Einige argumentierten, dass auch eine dritte möglich ist, obwohl dies stark davon abhängt, wie die Märkte diese Bewegungen verdauen.
Die Märkte preisen für dieses Jahr eine Erhöhung um etwa 85 Basispunkte ein, also mehr als drei Schritte von jeweils 25 Basispunkten. Seit Jahren liegt der Leitzins bei null Prozent. Der sogenannte Einlagesatz beträgt minus 0,5 Prozent, so dass Banken Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie überschüssiges Geld bei der Notenbank parken.
EZB will Zinsen spätestens im September erhöhen
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