Ich stehe mit vielen anderen auf der Hofgartenwiese in Bonn, die Sonne strahlt über der UN-Stadt, wir ziehen Handschuhe an in bunten Farben und T-Shirts mit dem Aufdruck World Cleanup Day, nehmen uns pinkfarbene Müllsäcke und Müllpicker. Zu der Aktion eingeladen haben der World Cleanup Day Germany, Bonner Netzwerk für Entwicklung und EQAsce.Ausgestattet mit Sport-Trikots aus recycelten Textilien des Sporthubs Amui, der für zirkuläre Textiltechnologie steht und gemeinsam mit dem Mehrweg-Getränkebecher-System der bundesweiten Initiative Reusable To-Go geht es los. Neben mir bücken sich Menschen, die ich eben erst kennengelernt habe – UnternehmerInnen, WissenschaftlerInnen, NGO-AktivistInnen, Bonner BürgerInnen.
Wir sammeln achtlos Weggeworfenes auf: Zigarettenstummel, Plastikdeckel, Papierfetzen. Ein Reifen kommt dazu, eine Lampe…Die meisten sind kleine Stücke Müll, aber in diesem Moment sind sie ein Symbol für etwas viel Größeres. „Jede Veränderung beginnt mit einer einzelnen Stimme, mit einem Schritt – und kann die Welt bewegen,“ sage ich als Schirmherrin des World Cleanup Day und als jemand, den das Müllproblem von Kindheit an begleitet – als ich als 7Jährige am Strand von Norddeich-Mole als Erstes keinen tollen Sandstrand sah, sondern Plastikmüll und beschloss, dass das nicht sein darf.

Gestern startete hier, im Herzen der internationalen UN-Stadt Bonn, der Auftakt für den World Cleanup Day 2025. Katja Dörner hat als Oberbürgermeisterin der UN-Stadt Bonn in diesem Jahr die Schirmherrschaft über diese von den Vereinten Nationen mit einem eigenen Aktionstag ausgezeichnete Initiative übernommen. Ursula Sautter, Bürgermeisterin der Stadt Bonn, ist vor Ort, Holger Holland, Initiator des World Cleanup Days (WCD) und Präsident von World Cleanup, Schauspielerin und Moderatorin Daniela Schwerdt, engagierte Botschafterin des World Cleanup Day, Robert Reiche von Reusable To-Go, Denis HüterChristoph Scheuren und Prof. Dr. Brigitte Petersen vom EQA-Vorstand sowie Daniel Mendes vom Forum Nachhaltig Wirtschaften. Und wir zeigen: Engagement kennt keine Titel. Hier zählt nicht, wer man ist, sondern dass man anpackt.
Bonn trägt als deutsche UN-Stadt eine besondere Verantwortung. Hier arbeiten täglich Organisationen an globalen Zukunftsfragen – und gestern wurde wieder klar: Nachhaltigkeit beginnt nicht in Konferenzräumen, sondern auf der Wiese, auf der Straße, im eigenen Viertel. Der Müll, den wir aufheben, erzählt Geschichten von Konsum und Wegwerfgesellschaft. Doch mit jedem Stück Abfall, das wir entfernen, schreiben wir eine neue Geschichte – eine von Achtsamkeit und Zukunftsverantwortung.
Heute, nur einen Tag später, liegt der Fokus auf Hannover– Deutschlands offizielle World Cleanup Day-Stadt 2025. Hier pulsiert das Engagement: Über die ganze Stadt verteilt finden Clean-ups statt – in Parks, an Flussufern, in Innenhöfen. Familien, Vereine, Schulen, Unternehmen und spontane Helfer:innen ziehen los, um aufzuräumen. CleanUp Hannover e.V., „Serve the City Hannover“ und zahlreiche lokale Partner zeigen, wie gemeinsames Handeln aussieht, wenn Verwaltung, Wirtschaft und Bürger:innen an einem Strang ziehen. Hannover wird so zum leuchtenden Beispiel dafür, dass Stadt und Gesellschaft gemeinsam Veränderung gestalten können.
Als Schirmherrin dieses Aktionstags sehe ich meine Rolle nicht nur als Fürsprecherin, sondern als Mitstreiterin. „Es reicht nicht, Müll zu sammeln; wir müssen die Ursachen verändern,“ Hinter jedem Stück Abfall steckt ein System: Verpackungen, Produktionsketten, Konsumgewohnheiten. Ein Tag wie der World Cleanup Day zeigt die Symptome – aber er ruft vor allem dazu auf, die Strukturen zu verändern, die diesen Müll überhaupt entstehen lassen.
Der World Cleanup Day ist längst mehr als eine nette Bürgeraktion. Seit 2024 ist er offizieller UN-Aktionstag und Teil einer globalen Bewegung, die in über 190 Ländern Millionen von Menschen mobilisiert. Er vereint Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft – genau jene Sektoren, die oft nebeneinander statt miteinander agieren. Gestern in Bonn, heute in Hannover entstehen neue Allianzen: Unternehmen, die über Kreislaufwirtschaft nachdenken. WissenschaftlerInnen, die bessere Recyclingverfahren erforschen. PolitikerInnen, die konkrete Gesetzesinitiativen anstoßen wollen.
Doch die eigentliche Kraft liegt bei den Menschen selbst. Gestern in Bonn habe ich gespürt, wie aus einem Nachmittag im Park ein starkes Gemeinschaftsgefühl wächst. Wie sich Fremde zueinander beugen, um eine Flasche aufzuheben, und dabei ins Gespräch kommen über Konsum, Verantwortung, Zukunft. „Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern ein Lebensstil,“ sagte eine junge Teilnehmerin neben mir, während sie ein Stück Plastik aus dem Gras zog. Ein Satz, der mich noch lange begleiten wird.
Damit dieses Momentum nicht verpufft, braucht es mehr als einen jährlichen Aktionstag. Wir brauchen Städte, die Müllvermeidung systematisch fördern. Unternehmen, die ihre Verpackungen neu denken. BürgerInnen, die nicht nur an diesem einen Tag, sondern jeden Tag bewusst handeln. Politik, die Rahmenbedingungen schafft, statt nur Appelle zu formulieren.
Ich verlasse Bonn mit schmutzigen Handschuhen und einem Lächeln im Gesicht. Heute Abend werden in Hannover weitere Mengen Abfall aus Parks und Straßen verschwinden – ein sichtbares Zeichen, dass Veränderung möglich ist. Aber der eigentliche Cleanup muss in unseren Köpfen stattfinden: Wir müssen umdenken, neu handeln, gemeinsam gestalten.
Der World Cleanup Day ist dafür nicht das Ziel, sondern der Startpunkt. Er zeigt uns, dass wir nicht ohnmächtig sind. Dass jede Geste zählt. Dass aus einer einzelnen Stimme ein Chor werden kann, der laut genug ist, um gehört zu werden – in unseren Städten, in unseren Unternehmen, in der Welt. Und er erinnert uns daran, dass Aufräumen nicht nur etwas für Müllsäcke ist, sondern für unser Denken, unsere Wirtschaft und unsere Zukunft.
Foto: World Cleanup Day



















