Berlin, 07. Feb (Reuters) – Gigantisch sei die Aufgabe, Deutschland in eine klimaneutrale Gesellschaft umzubauen, warnte Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seiner ersten Pressekonferenz. Während das Projekt im Energie-, Verkehrs- oder Gebäudesektor schon als kompliziert gilt, scheint es in der Industrie unlösbar. Die Stahl-, Chemie- oder Zementbranche kann schon technisch ihre Prozesse nicht auf Strom umstellen – in den Hochöfen werden vor allem Kohle und andere fossile Brennstoffe verheizt. Die Lösung soll der emissionsarme Energieträger Wasserstoff bringen.
Doch solche Anlagen rechnen sich noch nicht, der Betrieb ist viel zu teuer. Hier will nun der Staat ins Spiel kommen und der Industrie bei den Mehrkosten und Risiken für die grüne Transformation finanziell unter die Arme greifen – über sogenannte Klimaschutz-Verträge. Diese könnten den Staat einer Studie der Denkfabrik Agora zufolge allein für die Grundstoff-Industrie bis 2030 über 40 Milliarden Euro kosten. Es wäre ein weltweit einmaliges Projekt mit vielen Fangstricken und Fragezeichen.
Doch der Bundesregierung ist es Ernst: Ostern oder spätestens im Sommer soll ein Konzept vorliegen, wie genau die Förderung aussehen soll. Noch dieses Jahr könnten erste Verträge geschlossen werden. Denn die Zeit drängt: Laut den Experten von Agora, die die Regierung beraten, muss die Grundstoff-Industrie bis 2030 ein Drittel bis zur Hälfte ihrer Anlagen ohnehin erneuern, weil sie in die Jahre gekommen sind. Dann sollten sie auch gleich auf klimaneutrale Produktion umgerüstet werden.
Die Manager von ThyssenKrupp oder Heidelcement warten jedenfalls gespannt auf den Impuls der Regierung. „Klimaschutzverträge sind das kurzfristige Mittel der Wahl, um die langfristige Transformation der Industrie zur Klimaneutralität anzustoßen“, heißt es in der Studie von Agora. Dessen bisheriger Chef Patrick Graichen sitzt inzwischen als Staatssekretär an zentraler Position im Habeck-Ministerium.
UMBAU SOLL IN ZEHN JAHREN ABGESCHLOSSEN SEIN Die Studie schlägt Verträge mit einer zehnjährigen Laufzeit vor. Solange würden die Mehrkosten einer grünen Produktion im Vergleich zur konventionellen Herstellung vom Staat abgedeckt.
Nach 2030 – so das Kalkül – würde sich die klimaneutrale Produktion dann vor allem mit wachsender Wasserstoff-Erzeugung und sinkenden Preisen ohne staatliche Unterstützung rechnen. So könnten in Stahl-, Chemie- und Zementbranche rund 20 Millionen Tonnen CO2 jährlich weniger ausgestoßen werden. Das wäre ein Drittel der bis 2030 nötigen Emissionskürzungen der gesamten Industrie.
Die Kalkulation bei den sogenannten Carbon Contracts for Difference (CCfD) lautet vereinfacht so: Die Mehrkosten grüner Produktion sollen gegenüber dem Betrieb herkömmlichen Anlagen berechnet werden. Wird ein Stahlwerk beispielsweise mit Kokskohle betrieben, muss es sich Rechte für den CO2-Ausstoß kaufen. Diese werden laut den EU-Vorgaben jährlich knapper und damit teurer. Zumal wenn – wie geplant – die bisherigen Gratis-Zuteilungen der EU zusammengestrichen werden. Im Gegenzug wird erwartet, dass mit dem Hochlauf der Wasserstoffproduktion dieser günstiger wird.
Mit eingerechnet wird, dass Firmen mit „grünen“ Produkten auch höhere Erlöse erzielen können. Mit der Zeit gleichen sich die Kosten für die klimaneutrale und die der herkömmlichen Produktion also an. Wenn sich die Lücke im Laufe der Jahre vollständig schließt, braucht es kein Geld mehr vom Staat. Die Verträge laufen formell noch weiter, falls sich doch noch aus irgendwelchen Gründen höhere Kosten ergeben.
Für die Stahlbranche, den größten Klimasünder in der Industrie, soll es als Anschub für die Umrüstung der Anlagen laut Studie zudem rund acht Milliarden Euro geben. Zunächst würde vermutlich Erdgas eingesetzt, das bereits weniger CO2 produziert. Über die Jahre würde es dann von Wasserstoff verdrängt, der mit Hilfe von Wind- oder Solarstrom erzeugt wird.
Doch das Konzept wirft einige Fragen auf: So ist für die Zementindustrie der Wasserstoff-Einsatz ungeeignet. Die Agora-Experten schlagen hier die Abscheidung und Speicherung der Treibhausgase vor, kurz CCS (Carbon Capture and Storage) genannt. Doch diese Technik trifft besonders bei den Grünen auf scharfe Ablehnung. In Deutschland konnte sie nie durchgesetzt werden.
Und auch der Transport des CO2 etwa nach Norwegen oder die Niederlande, wo er dann in früheren Erdgas-Lagerstätten gepresst werden könnte, ist umstritten. Die Agora-Experten schlagen aber vor, diese Option über die Klimaverträge möglich zumachen.
Offen sind zudem noch eine Reihe von Rahmenbedingungen, die vor allem die EU klären muss. Kann es Gratis-Zuteilungen von CO2-Rechten für Unternehmen in der Transformation geben, etwa wenn sie von Kohle auf Erdgas umsteigen und einen Plan für grünen Wasserstoff haben? Wird „grüner“ Stahl durch die erwogene Klimasteuer an den EU-Außengrenzen vor Konkurrenz geschützt? Das alles wird laut Agora letztlich auf die Kosten der Verträge für den Steuerzahler wirken. Die Berechnungen reichen allein für die drei Branchen von im besten Fall zehn Milliarden bis hin zu 43 Milliarden Euro.
Wie Klimaverträge die Industrie ins „Grüne“ locken sollen
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