London/Mailand, 28. Nov – Die Pleite von Jeep in China wirft einen Schatten auf die Strategie der großen Autokonzerne in der Volksrepublik. Branchenkenner werten die erste Insolvenz eines Gemeinschaftsunternehmens mit westlicher Beteiligung seit dem Beginn der Elektro-Ära als Wendepunkt. Sie sei ein erstes Anzeichen dafür, dass die chinesischen Unternehmen besser als ihre Konkurrenz aus dem Ausland darin werden, den Kunden das zu geben, was sie wollen. „Ich denke nicht, dass Stellantis ein Einzelfall bleibt“, sagt Marco Santino, Partner bei der Beratungsfirma Oliver Wyman. „Wahrscheinlich müssen alle westlichen Autohersteller die industrielle Logik ihrer Präsenz in China überdenken.“
Die Stellantis-Tochter hatte am 31. Oktober Insolvenz angemeldet. Ein Sprecher des italienisch-französischen Autobauers betont, Jeep-Autos seien auch künftig in China erhältlich, allerdings als Importfahrzeuge. Das Händlernetz bleibe bestehen. Dennoch ist es eine Kehrtwende in der China-Strategie von Stellantis – schließlich hatte Konzernchef Carlos Tavares vor der Fusion von PSA und Fiat Chrysler zur weltweiten Nummer Drei der Branche noch erklärt, kein Unternehmen könne es sich leisten, nicht in China zu sein. Das Gemeinschaftsunternehmen mit der Guangzhou Automobile Group (GAC)601238.SSsollte ausgebaut werden, erst im Januar hatte Stellantis angekündigt, seinen Anteil auf 75 Prozent zu erhöhen.
Doch mit dem Projekt kam es nicht voran. Einige der Probleme, mit denen Stellantis in China zu kämpfen hatte, sind hausgemacht. Doch Daten der Beratungsgesellschaft LMC Automotive zeigen ein Problem auf, das auch viele andere Hersteller ebenfalls haben: Die Auslastung der Fabriken in China geht zurück. Und je weniger Autos in einem Werk gebaut werden, desto wahrscheinlicher sind Verluste.
Nach Berechnungen von LMC fällt die Auslastung der chinesischen Stellantis-Werke in diesem Jahr auf 13 Prozent, von 43 Prozent im Jahr 2017. Auch bei anderen großen Herstellern von Volkswagen über Ford bis Hyundai brach in dem Zeitraum die Auslastung zum Teil dramatisch ein – bei VW von 99 auf 66 Prozent, bei Ford von 71 auf 25 Prozent, bei Mitsubishi von 81 auf 28 Prozent.
„CHINA IST IN EINER BESONDEREN SITUATION“
Doch weitere Ansätze, die China-Strategie wie Stellantis zu überdenken, gibt es bei den ausländischen Autobauern noch nicht. Sie konstatieren vielmehr eine Ausnahmelage in China. Das Land sei in einer „besonderen Situation“, erklärt etwa Volkswagen. Dabei spielten die Corona-Pandemie, die weltweite Chipknappheit sowie die Transformation hin zu Elektromobilität eine Rolle – all das habe Auswirkungen auf die Produktionskapazitäten in der Branche.
Auch General-Motors-Chef Paul Jacobson sieht keine Notwendigkeit für Veränderungen: „Ich würde auf Basis von 2022 keine Schlüsse über das chinesische Geschäft ziehen“, sagte er. „Wir fühlen uns immer noch gut damit, wo wir uns hinbewegen.“ Der US-Konzern setzt auf eine Reihe von neuen Elektromodellen, um seine Gewinne in China bis 2030 auf zwei Milliarden Dollar zu steigern. In den ersten neun Monaten 2022 waren es mit 477 Millionen Dollar aber 44 Prozent weniger als vor Jahresfrist.
Bei den Premium-Autobauern BMW und Mercedes-Benz sind die Fabriken mit 85 und 79 Prozent deutlich besser ausgelastet – auch wenn Mercedes zuletzt den Preis bei seinem elektrischen Spitzenmodell EQS sowie anderen Modellen auf diesem Markt deutlich senken musste, weil sie nicht den Geschmack der chinesischen Kunden treffen. BMW-Chef Oliver Zipse sagte, er sorge sich in China weniger wegen der Elektrifizierungs-Strategie – sein Unternehmen bringe eine Reihe neuer Modelle auf den Markt. Bedenklich sei vielmehr die Null-Covid-Politik, die immer wieder neue Lockdowns mit sich zieht. BMW und Mercedes profitieren davon, dass es nur wenige Luxushersteller aus China gibt und sie damit auf geringere Konkurrenz treffen.
CHINESISCHE AUTOBAUER HÄNGEN KONKURRENZ AB
Vor allem Volumenhersteller haben aber Schwierigkeiten. Ein Blick auf die Absatzzahlen zeigt: Die chinesischen Hersteller schaffen ein rapides Wachstum, während die Luft für die ausländischen Volumenhersteller dünner wird. Im Oktober etwa hängte BYD die Konkurrenz mit einer Wachstumsrate von 143 Prozent ab, der heimische Rivale Changan kommt auf 43 Prozent, Geely auf 36 Prozent.
Volkswagen schaffte mit seinen beiden Joint Ventures gerademal ein Wachstum zwischen vier und fünf Prozent. Die Chinesen können den Umstand ausnutzen, dass viele westliche Konzerne bei der Einführung von Elektroautos nur langsam vorankommen. „Chinesische Firmen haben Vorteile, weil sie sich früher auf Elektromobilität eingelassen haben als ausländische Unternehmen“, erläutert Bill Russo, Chef des Beratungsunternehmens Automobility und ehemaliger Chrysler-Manager.
Die ausländischen Massenhersteller dagegen müssen noch eine Formel für den künftigen Erfolg in China finden. Die Kunden dort setzen auf digitale Angebote; sie wollen Autos, die Smartphones auf Rädern gleichen, sie wollen in vielen Stunden im Stau ihre Apps und Spiele nutzen. Das geht so weit, dass Elektroauto-Hersteller wie Nio9866.HK in einigen Modellen Kameras für Selfies einbauen, mit denen sie jüngere Kunden anlocken wollen.
LMC-Experte Justin Cox gibt das Rennen für die westlichen Unternehmen noch nicht verloren, allerdings wird das dauern und hohe Investitionen mit sich ziehen. „Ist eine Marke erst einmal beschädigt und gilt als altmodisch, dann wird es schwierig, Punkte zu machen“, sagt er. „Einige der Firmen, die sich in der Mittelklasse positionieren, könnten es sehr schwer damit haben, wieder Boden zu gewinnen.“
„Wer noch?“ – Heimische Rivalen drängen Jeep in China aus dem Markt
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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