Balmoral/London/Berlin, 09. Sep – Mitten in der weltweiten Trauer um Königin Elizabeth II. macht sich ihr Sohn Charles bereit, das schwierige Erbe der in der Bevölkerung zutiefst verehrten Monarchin anzutreten. Der 73-Jährige brach am Freitag von der schottischen Sommerresidenz der Königsfamilie in Schloss Balmoral nach London auf. Am Nachmittag fuhr er vor dem Buckingham-Palast vor, wo er von einer jubelnden Menschenmenge begrüßt wurde, die „Gott schütze den König“ („God save the King“) anstimmte. An der Seite seiner Frau Camilla stieg Charles aus dem Auto, schüttelte Hände und bewunderte mindestens zehn Minuten lang das Blumenmeer vor dem Palast.
Noch im Laufe des Tages wollte der neue König Premierministerin Liz Truss treffen und sich anschließend am Abend in einer Fernsehansprache an die Nation wenden. Für Samstag ist dann die formelle Proklamation zum neuen Monarchen vorgesehen. Faktisch ist Charles jedoch seit dem Tode Elizabeths König. Er nennt sich von nun an Charles III.
Elizabeth war am Donnerstag auf Schloss Balmoral im Alter von 96 Jahren gestorben. Erst kürzlich hatte sie ihr 70. Thronjubiläum gefeiert. Viele Briten haben nie eine andere Königin gekannt. Am ersten Tag ohne die Monarchin, die einst von ihrem Enkel Harry als „die Großmutter der Nation“ beschrieben wurde, strömten sie zu Tausenden zum Buckingham-Palast und zu Windsor Castle, um Blumen niederzulegen. Werbetafeln in ganz London zeigten Beileidsbekundungen, Zeitungen waren gefüllt mit Foto-Hommagen, Fahnen auf Halbmast gesetzt. Ein Online-Kondolenzbuch wurde eingerichtet.
Die britische Regierung rief den Beginn einer nationalen Trauerphase aus, die bis zum Ende des Tages, an dem das Staatsbegräbnis stattfindet, dauern soll. Noch eine Woche länger soll die Königsfamilie auf Wunsch von Charles ihre eigene Trauerzeit einhalten. Ein genaues Datum für die Beisetzung Elizabeths nannte der Palast zunächst nicht. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass das Begräbnis ungefähr zehn oder elf Tage nach dem Tod stattfindet.
„DIE WELT HAT EINE JAHRHUNDERTFIGUR VERLOREN“
Bereits am Donnerstagabend trafen aus aller Welt Kondolenznachrichten ein. Staats- und Regierungschef lobten Elizabeth als umsichtige Monarchin, die es verstanden hatte, in vielen Situationen die Menschen zusammenzuführen oder – wenn nötig – zu trösten. Für viele stellte sie Beständigkeit in oft ungewissen Zeiten dar. „Die Queen verkörperte das Beste unseres gemeinsamen europäischen Erbes: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag in Berlin. „Großbritannien hat seine Königin verloren, die Welt eine Jahrhundertfigur.“
Adelsexperten sind sich einig, dass Charles es schwer haben dürfte, nach der Vorlage der Königin die großen Erwartungen zu erfüllen. Während Elizabeth zeitlebens immense Popularität genoss, musste sich Charles immer wieder Kritik anhören. Selbst heute noch tragen ihm viele Gegner besonders die gescheiterte Ehe mit seiner ersten Frau nach – die in weiten Teilen der Bevölkerung immer noch verehrte Prinzessin Diana, die vor 25 Jahren tödlich verunglückt war. Charles zweite Frau Camilla musste jahrelang gegen das Image der unbeliebten Nebenbuhlerin ankämpfen.
Befürworter von Charles halten jedoch dagegen, seine bisherige Arbeit werde unterschätzt oder missverstanden. Bei Themen wie dem Klimawandel sei er seiner Zeit zum Beispiel voraus gewesen. Und sie heben seine soziale Ader hervor. Vor fast 50 Jahren gründete er die Wohltätigkeitsorganisation Prince’s Trust, die bislang über einer halben Million Menschen geholfen hat. Die neue Regierungschefin Truss, die erst am Dienstag von Elizabeth zur Premierministerin ernannt worden war, unterstrich am Freitag im Parlament, dass Charles‘ Pflichtbewusstsein trotz seiner Trauer ungetrübt sei.
Welt trauert um Elizabeth – Charles tritt Erbe an
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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