Berlin, 02. Apr (Reuters) – Die Europawahl findet erst im Frühjahr 2024 statt. Aber bereits jetzt stellen die Parteien entscheidende Weichen für die Wahl und die folgende Neubesetzung der EU-Kommission. So sprach sich CDU-Chef Friedrich Merz im Reuters-Interview für eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus. Und hinter den Kulissen signalisieren auch maßgebliche Vertreter der Ampel-Regierung nach Informationen von Reuters Zustimmung dafür, dass die CDU-Politikerin in Brüssel weiter machen kann. Dafür gibt es allerdings noch einige Hürden zu überwinden.
UNION MUSS SICH FÜR VON DER LEYEN ENTSCHEIDEN
Als erstes muss die konservative europäische Parteienfamilie EVP, der CDU und CSU angehören, von der Leyen zur Spitzenkandidatin für die Europawahl küren. „Sie macht ihre Arbeit gut“, sagte CDU-Chef Merz dazu zu Reuters. „Wenn wir eine Möglichkeit haben, auch eine weitere Amtszeit für Ursula von der Leyen als aus Deutschland kommende Kommissionspräsidentin der EU zu ermöglichen – ja, selbstverständlich, dann sind wir dafür“, fügte er hinzu. Auch im CDU-Präsidium hatte er dies von vor Wochen angedeutet – und dafür die Zustimmung von CSU-Chef Markus Söder bekommen. Beide haben EVP-Chef Manfred Weber (CSU) nach Informationen aus Parteikreisen eindringlich ihren Wunsch mitgeteilt – weil diesem Überlegungen unterstellt werden, vielleicht eine andere Kandidatin wie EP-Präsidentin Roberta Metsola platzieren zu wollen. Aber CDU und CSU sind solche Schwergewichte in der EVP, dass gegen sie dort nichts geschieht.
WAS WIRD AUS DEM SPITZENKANDIDATEN-PRINZIP?
Bereits 2019 hatten sich die großen Parteienfamilien auf das Spitzenkandidaten-Prinzip verpflichtet: Danach kann nur Kommissionspräsidentin oder Kommissionspräsident werden, wer zuvor Spitzenkandidat bei der Europawahl war. Kleiner Schönheitsfehler: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnte nach der Wahl den siegreichen EVP-Kandidaten Weber ab. Und auch die Sozialisten im Europäischen Parlament (EP) setzten sich nach der Wahl ab. Dies eröffnete nach langen Verhandlungen den Weg für Ursula von der Leyen. „Wir können das Spitzenkandidaten-Prinzip nur machen, wenn es nicht wie 2019 nach der Europawahl wieder Enttäuschungen gibt“, sagte CDU-Chef Merz deshalb. Er fordert eine verbindliche Absprache der Parteienfamilien der Mitte, also Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grüne und Liberalen.
Die SPD mahnt aber auch Zusagen der Union ein: „Erst einmal muss Herr Merz dem politischen Kuschel- und Kooperationskurs von EVP-Präsident Weber gegenüber rechtsextremen und postfaschistischen Kräften in Europa einen Riegel vorschieben“, sagte SPD-Fraktionsvize Achim Post zu Reuters. „Bloße Verlautbarungen reichen hier nicht aus. Es bedarf klarer und verbindlicher Beschlüsse, die jede Form der Kooperation mit nationalistischen, rechtsextremen oder post-faschistischen Kräften in Europa ausschließen“, fügte Post hinzu, der auch Generalsekretär der europäischen Sozialdemokraten (SPE) ist. Das Spitzenkandidaten-Prinzip sei aber sinnvoll. „Ich glaube, dass es auch kommen wird“, sagt Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung.
WAS MACHEN DIE ANDEREN PARTEIENFAMILIEN?
Auch die anderen Parteienfamilien suche derzeit ihre Spitzenkandidaten aus. Aber wohl nur die Sozialdemokraten haben laut den Projektionen eine realistische Chance darauf, mit der EVP um die Rolle als stärkste Kraft zu ringen. In der SPD ist noch keine Entscheidung gefallen, wer die Parteien in die Wahl führen soll. Wie beim letzten Mal ist wieder EU-Kommissionsvize Frans Timmermans im Gespräch. Spekuliert wird aber auch über eine Kandidatur der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin.
WER WIRD STÄRKSTE KRAFT BEI DER EUROPAWAHL?
Die Frage ist, was nach der Wahl passiert: Denn nach Ansicht von Hüttemann ist offen, ob der Kandidat der stärksten Parteienfamilie bei der Wahl an die Spitze der Kommission rücken soll – oder aber die Spitzendkandidatin, die es dann schafft, eine Mehrheit im Parlament für sich zu mobilisieren. Denn der EU-Regierungschefs müssen zwar ihre Zustimmung geben. Aber am Ende wählt das Parlament die Kommissionspräsidentin, es muss dafür Koalitionen geben. CDU-Chef Merz äußerte sich deshalb zurückhaltend: Ziel sei es, dass die konservative EVP die stärkste Fraktion im EP bleibe. „Danach kann man sehen, wie man eine parlamentarische Mehrheit zustande bekommt.“ 2019 hatten am Ende auch Grüne und die nationalkonservativen polnischen PiS-Abgeordneten für von der Leyen gestimmt.
„Sie hätte eine gute Chance, vom Parlament gewählt zu werden“, meint Hüttemann deshalb. Es gebe keine Vorbehalte gegen eine deutsche Kommissionspräsidentin, zumal von der Leyen nicht als Erfüllungsgehilfin Deutschlands wahrgenommen werde und mit ihrer grünen Agenda gut ankomme. Bleibt die Frage, ob Macron oder andere sich im EU-Rat der Staats- und Regierungschefs querstellen könnten. Aber auch da sorgt von der Leyen vor, die offiziell noch nicht gesagt hat, ob sie überhaupt für eine zweite Amtszeit bereitsteht und die gleichzeitig als mögliche Nato-Generalsekretärin gehandelt wird: Jetzt reist sie zusammen mit Macron nach China – der sie übrigens auch 2019 vorgeschlagen hatte.
Warum von der Leyen gute Chance auf zweite EU-Amtszeit hat
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von S. Hermann / F. Richter auf Pixabay
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