Berlin, 09. Feb – Wenige Tage vor der Wiederholungswahl in Berlin ist völlig unklar, wer die Hauptstadt künftig regieren wird. Möglich ist eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition oder ein Wechsel im Roten Rathaus mit der CDU an der Spitze. Umfragen für die erste Landtagswahl des Jahres am Sonntag sehen die oppositionellen Christdemokraten mit bis zu 25 Prozent als stärkste Kraft. Danach folgt die SPD der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey mit 21 Prozent, die Grünen rutschen nach einem früheren Zustimmungshoch auf 18 Prozent ab. Die Linken liegen stabil bei elf, die AfD bei zehn und die FDP bei sechs Prozent.
Bei der Abstimmung im September 2021 parallel zur Bundestagswahl war es zu Unregelmäßigkeiten gekommen, weshalb das Berliner Landesverfassungsgericht die Wahl für ungültig erklärte und eine Wiederholung anordnete. Die politische Zukunft Berlins ist angesichts der Umfragen allerdings ungewiss. Zudem rechnet man in der Bundeshauptstadt bei der Wiederholungswahl mit einer sehr niedrigen Beteiligung – nach immerhin 75,4 Prozent im Jahr 2021. Zwar hofft Landeswahlleiter Stephan Bröchler offiziell auf bis zu 70 Prozent – aber Wahlstrategen in den Parteien erwarten eher 50 bis 55 Prozent. „Wählen gehen“ plakatieren deshalb die Linken plötzlich als zentrale Botschaft.
Denn vor allem bei SPD und den Linken gibt es die Sorge, dass das regierende Rot-Grün-Rot-Bündnis für die ungewöhnlichen Unregelmäßigkeiten im September 2021 abgestraft werden könnte. Bis zum Mittwoch wurden laut Landeswahlleiter für 27,9 Prozent der Wähler die für die Briefwahl nötigen Wahlscheine ausgestellt – das sind 7,4 Prozent weniger als zum Vergleichszeitpunkt 2021. Dazu kommt, dass die kleinen Parteien, die nicht in die Abgeordnetenkammer einziehen, in Umfragen bei zwölf Prozent liegen. Wenn so viele Stimmen aber nicht im Parlament vertreten sind, verändert dies die Koalitionsbildung.
Für die CDU bedeutet es daher bei einem Wahlsieg noch lange nicht, dass Spitzenkandidat Kai Wegner auch neuer Regierender Bürgermeister wird. Zwar gibt es deutliche Spannungen im bisherigen rot-grün-roten Bündnis – vor allem zwischen der Regierenden Bürgermeisterin Giffey (SPD) und der Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Es wird über Enteignungen im Wohnungsbau oder die Sperrung der zentralen Friedrichstraße für den Autoverkehr gestritten. Giffey sagt, dass die Differenzen innerhalb der Koalition vor allem in der Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik sehr groß seien.
FDP ZEIGT AUF SACHSEN-ANHALT
Dennoch gelten sowohl die SPD als auch die Grünen als „linke“ Landesverbände: Unabhängig von der als eher mitte-orientierten Giffey ist der Wunsch an der Parteibasis deshalb groß, ein rot-grün-rotes Bündnis fortzusetzen, falls dies rechnerisch möglich ist. Giffey selbst liebäugelt mit einer Ampel aus SPD, Grünen und FDP, die wohl sicher wieder in das Abgeordnetenhaus einziehen wird. Das bedingt aber, dass die SPD stärker als die Grünen wird. Jarasch hat wiederholt den Anspruch angemeldet, in einer dann grün-rot-roten Koalition Regierende Bürgermeisterin werden zu wollen.
CDU-Spitzenkandidat Wegner wiederum hat – nach anfänglichem Werben – ein Bündnis mit den Grünen mehrfach ausgeschlossen. Deshalb bleibt aus Sicht der Union und der FDP die Option einer „Deutschland“-Koalition aus CDU, SPD und Liberalen. Theoretisch ist auch eine große Koalition von CDU und SPD möglich. Allerdings hat die CDU mit ihrer umstrittenen Reaktion auf die Silvester-Ausschreitungen in der Hauptstadt in der SPD erhebliche Kritik ausgelöst. „Ein Deutschland-Bündnis aus SPD, CDU und FDP ist immerhin möglich“, sagte der Berliner Politologe Gero Neugebauer.
Auch in der FDP wird auf diese Möglichkeit verwiesen und betont, dass das Modell etwa in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt geräuschlos funktioniert. Spitzenkandidat Sebastian Czaja hofft für die Liberalen auf ein gutes Abschneiden am Sonntag, dann sei auch eine Regierungsbeteiligung denkbar. Dann ginge wohl ein Aufatmen durch die FDP-Reihen nach den Wahlschlappen im vergangenen Jahr. Die Bildung einer Ampel-Koalition sieht die Partei allerdings wegen der eher linksorientierten Landesverbände von SPD und Grünen als unrealistisch an.
Vorschau: Blackbox Berlin-Wahl – Koalitionsbildung gilt als völlig offen
Quelle: Reuters
Symbolfoto: Bild von TobiasGolla auf Pixabay
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