Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Der konservative Seeheimer Kreis hat die Parteilinken überholt und ist nun die stärkste Strömung in der SPD-Bundestagsfraktion. „Wir haben weiterhin Zuwachs und sind aktuell 94 Abgeordnete“, sagte Marja-Lisa Völlers, Sprecherin des Seeheimer Kreises, der „Süddeutschen Zeitung“ (Montagausgabe).
Erstmals seit der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt ist man nach Angaben der Seeheimer damit die stärkste Strömung. Völlers führt die Seeheimer mit Fraktionsvize Dirk Wiese und Uwe Schmidt. Die Parlamentarische Linke (PL), die sich in ihrem Internetauftritt noch als größte Strömung in der Fraktion bezeichnet, hat nach Angaben eines Sprechers derzeit 92 Mitglieder. Der Höhenflug der Seeheimer verschiebt die Machttektonik in der Fraktion. Bisher kommt mit Rolf Mützenich der Fraktionschef aus Reihen der Parteilinken. Die Seeheimer werden bei der im Herbst anstehenden Neuwahl nun umso mehr ein Wort mitreden. Sie wollen, dass Mützenich erst einmal weitermacht und eine diskutierte Staffelübergabe an PL-Chef Matthias Miersch als Fraktionschef verhindern. „Rolf Mützenich macht als Fraktionsvorsitzender sehr gute Arbeit, wird gebraucht und muss Fraktionschef bleiben“, sagte Völlers. Nach der nächsten Bundestagswahl könnten die Karten dann nach Einschätzung von SPD-Abgeordneten aber neu gemischt werden – Seeheimer-Sprecher Dirk Wiese etwa könnte eigene Ambitionen anmelden. Die sich als Pragmatiker bezeichnenden Seeheimer stützen vorbehaltlos den Kurs von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Was wichtig ist, wenn es um den Rückhalt in den eigenen Reihen geht, da Scholz ohnehin mit allerlei Fliehkräften in der Koalition zu kämpfen hat. Völlers betonte mit Blick auf das Erstarken der Seeheimer: „Für uns ergibt sich daraus aber keine Flügeldiskussion.“
Einer, der den Machtwechsel befördert hat, ist Helge Lindh. Der SPD-Abgeordnete ist bei der PL ausgetreten. „Ich war da zuletzt mehr Karteileiche, als aktiv dabei“, sagte Lindh der SZ. Er sei eigentlich gar nicht so ein Strömungsmensch. Nun fokussiert er sich auf die Seeheimer.
„Man versucht sich dort um die Leute zu kümmern, pflegt den ganz normalen geselligen Umgang“, sagt Lindh. „Wir sind ja auch nur Menschen, da ist so etwas wichtig. Diese soften Faktoren werden oft unterschätzt in der Politik“, sagt Lindh. Und an der Spitze seien sehr pragmatische Leute, die den Kurs von Kanzler und Koalition stützten.
Gegründet worden war die Strömung 1974, um gegenüber den Linken aus der Defensive zu kommen – oft verzettelte man sich in langen Theoriediskussionen. Der Name rührt daher, dass man sich zu Tagungen häufiger in Seeheim an der Bergstraße traf. Initiiert wurde dies von Politikern wie Hans-Jochen Vogel und Gesine Schwan.
Foto: Marja-Liisa Völlers, über dts Nachrichtenagentur
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