20. Mai (Reuters) – Zum wiederholten Mal seit dem Einmarsch in die Ukraine steht Russland am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Am 25. Mai läuft eine Ausnahmeregelung der USA aus, die es Russland erlaubt, im Ausland eingefrorene Devisenreserven zur Bedienung von Anleihen zu nutzen. Kurz danach werden weitere Zinszahlungen fällig.
Trotz der westlichen Strafmaßnahmen und russischer Gegen-Sanktionen, die den internationalen Zahlungsverkehr erschweren, ist es der Regierung in Moskau bislang gelungen, sämtliche Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Mit dem Ende der US-Ausnahmeregelung könnte es damit aber vorbei sein.
Nachfolgend die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Thema:
WIRD DIE AUSNAHMEREGELUNG VERLÄNGERT?
Die Aussichten hierfür sind gering. US-Finanzministerin Janet Yellen zufolge ist zwar noch keine endgültige Entscheidung gefallen, eine Verlängerung sei aber unwahrscheinlich. Anfang März hatte das Office of Foreign Assets Control (OFAC) US-Personen Geschäfte mit dem russischen Finanzministerium, der Zentralbank oder dem Staatsfonds im Zusammenhang mit dem Schuldendienst erlaubt. Diese Ausnahmegenehmigung läuft am 25. Mai aus.
WAS SPRICHT GEGEN EINE VERLÄNGERUNG?
Kritiker weisen darauf hin, dass Russland bis zum Jahresende Fremdwährungsdarlehen im Volumen von weniger als zwei Milliarden Dollar bedienen müsse. Dem stehe ein Vielfaches von Einnahmen aus Energie-Exporten gegenüber. Sie beliefen sich dank der gestiegenen Preise für Öl und Gas allein im April auf 28 Milliarden Dollar.
Die Befürworter argumentieren, dass eine Verlängerung die Kriegskasse des russischen Präsidenten Wladimir Putin leere. Russland sei dann gezwungen, seine ausländischen Devisenreserven für den Schuldendienst anzuzapfen. Rund die Hälfte des insgesamt 640 Milliarden Dollar großen Finanzpolsters sind eingefroren.
WELCHE ZAHLUNGEN WERDEN FÄLLIG?
Am 27. Mai, zwei Tage nach Ablauf der US-Ausnahmeregelung, werden für zwei Staatsanleihen Zinsen in Höhe von 71 Millionen Dollar und 29 Millionen Euro fällig. Für beide Bonds ist die Möglichkeit vorgesehen, die Schulden in einer anderen Hartwährung wie Pfund Sterling oder Schweizer Franken zu bedienen, sollten nicht selbst verschuldete Gründe Russland eine Zahlung in der Ursprungswährung unmöglich machen. Bei dem auf Euro lautenden Bond kann auch in russischen Rubel gezahlt werden.
Experten bezweifeln allerdings, dass Russland sich auf höhere Gewalt berufen kann. Schließlich seien die westlichen Sanktionen eine Reaktion auf den Einmarsch ins Nachbarland Ukraine.
Sollte Russland am 27. Mai nicht zahlen können, gibt es eine 30-tägige Nachfrist. Erst nach deren Ablauf wäre ein Zahlungsausfall offiziell.
Weitere Zinszahlungen in Höhe von insgesamt 235 Millionen Dollar werden am 23. Juni fällig.
KANN UND WILL RUSSLAND ZAHLEN?
Der russische Finanzminister Anton Siluanow betont, sein Land habe ausreichend Geld, um seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Bei einer US-Blockade werde man notfalls in Rubel zahlen. Rein rechtlich müssen Schulden binnen der gesetzten Frist und in der vereinbarten Währung gezahlt werden, um einen Zahlungsausfall zu vermeiden.
Die Sache sei aber kompliziert, sagt Ian Clark, Partner in der Anwaltskanzlei White & Case. Russland könne Anleihe-Haltern das Geld an die nationale Wertpapier-Verwahrstelle überweisen, die außerhalb der US-Jurisdiktion liege. „Diese Gelder können dann vielleicht nicht transferiert werden, aber Russland hätte damit den Bestimmungen genüge getan und eine Zahlungsunfähigkeit abgewendet – zumindest kurzfristig.“ Unabhängig davon könnte Russland Zahlungen auf einen Termin vor dem 25. Mai vorziehen.
WARUM WILL RUSSLAND EINE ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT ABWENDEN?
Russland verfügt zwar über ausreichende Mittel für den Schuldendienst. Langfristig ist es aber auf ausländisches Kapital angewiesen. Bei einem Ende der Kämpfe in der Ukraine werde die Regierung sicher versuchen, die gekappten Wirtschaftsbeziehungen zum Westen wieder aufzubauen, sagt Chris Miller, leitender Mitarbeiter der Denkfabrik Greenmantle. Ein Zahlungsausfall würde den Zugang zu den Kapitalmärkten erschweren und die Zinsen in die Höhe treiben. Anders als nach der Annexion der Krim 2014 werde eine Normalisierung der Beziehungen diesmal jedoch länger dauern.
WAS WÜRDE DIESEN ZAHLUNGSAUSFALL BESONDERS MACHEN?
Normalerweise stellen Staaten ihren Schuldendienst aus Geldmangel ein, wenn ihre Devisenreserven erschöpft sind oder ihr Zugang zum Kapitalmarkt eingeschränkt ist. Bis zum Ukraine-Krieg schien ein Zahlungsausfall Russlands nahezu ausgeschlossen. Dank der Milliardeneinkünfte aus Rohstoff-Exporten wurde die Bonität von Rating-Agenturen gut benotet. „Russland hat den Luxus eines enormen Leistungsbilanz-Überschusses“, sagt Anlagestratege Wouter Sturkenboom vom Vermögensverwalter Northern Trust. „Ein Wendepunkt wäre eine Ende der Ölkäufe durch Europa.“ Das würde Russland erheblich unter Druck setzen.
USA halten Schlüssel zu Russlands Zahlungsfähigkeit
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