Update Kiew, 31. Okt – Trotz Russlands Aussetzung des Getreideabkommens hat die Ukraine nach eigenen Angaben die Lieferung Hunderttausender Tonnen per Schiff über das Schwarze Meer wiederaufgenommen. Zwölf Frachter liefen am Montag aus ukrainischen Häfen aus, wie das Infrastrukturministerium in Kiew mitteilte. Ein Sprecher der Vereinten Nationen erklärte, dass auch die im Rahmen des Abkommens vereinbarten Inspektionen der Frachter wieder stattfänden. Russland warnte allerdings, dass es keine Sicherheitsgarantien geben könne. Die Lieferungen seien somit sehr viel gefährlicher und riskanter. Das Abkommen sei unter solchen Bedingungen kaum umsetzbar, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
Die Regierung in Moskau hatte am Wochenende überraschend ihre Teilnahme an dem von den Vereinten Nationen und der Türkei vermittelten Abkommen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Sie begründete ihr Vorgehen mit einem Drohnenangriff am Samstag auf Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte nahe Sewastopol auf der Krim. Die Sicherheit des für die Getreidetransporte eingerichteten Korridors sei nicht mehr gewährleistet. Die Ukraine hat weder bestätigt noch dementiert, für die Angriffe verantwortlich zu sein.
Die im Sommer getroffene Vereinbarung hatte es der Ukraine im vergangenen Vierteljahr ermöglicht, dass sie trotz des tobenden Kriegs ihr Getreide durch einen Schutzkorridor im Schwarzen Meer exportieren konnte. Das unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei zustande gekommene Abkommen markierte einen der wenigen diplomatischen Erfolge in dem seit dem 24. Februar anhaltenden Krieg. Es sollte den weltweiten Anstieg der Getreidepreise dämpfen. Die Ukraine und Russland zählen weltweit zu den größten Getreideexporteuren. Viele Entwicklungsländer sind von Lieferungen zu erschwinglichen Preisen abhängig.
„HUNGER ALS WAFFE“
Die EU und die USA hatten Russlands Entscheidung zur Aussetzung des Abkommens am Wochenende bereits scharf kritisiert. Ein Sprecher der Bundesregierung sagte am Montag, es sei zutiefst verabscheuenswürdig von Russland, Hunger als Waffe in dem Konflikt mit der Ukraine einzusetzen. „Russland muss zu dem Abkommen zurückkehren.“ Der für die Umsetzung des Abkommens zuständige UN-Koordinator Amir Abdulla erklärte, zivile Frachtschiffe dürften niemals zu militärischen Zielen oder in Geiselhaft genommen werden. „Lebensmittel müssen fließen.“ Frankreichs Agrarminister Marc Fesneau sagte, sein Land prüfe, ob es möglich sei, Nahrungsmittel aus der Ukraine alternativ über Landstrecken exportieren zu können – etwa über Polen und Rumänien. Die weitaus beste Möglichkeit, Getreide aus der Ukraine auf die Weltmärkte zu bringen, bleibe aber der Seeweg, sagte der Regierungssprecher in Berlin.
Immerhin eine der größten Befürchtungen trat zunächst offenbar nicht ein: eine erneute Blockade der Schiffe durch Russland wie in den ersten Kriegsmonaten. Die Militärverwaltung der Hafenstadt Odessa teilte mit, an Bord der am Montag ausgelaufenen Frachter befinde sich eine Rekordmenge von 354.500 Tonnen Getreide. Noch nie sei an einem einzigen Tag so viel ausgefahren worden, seit die Vereinbarung im Juli in Kraft getreten war. Die Weizenpreise auf dem Weltmarkt zogen dennoch an.
Auch die Kämpfe in der Ukraine hielten unvermindert an. In zahlreichen Städten heulten zu Wochenbeginn erneut Alarmsirenen auf. Auch die Hauptstadt Kiew wurde erneut mit Raketen beschossen. Vor allem die kritische Infrastruktur sei das Ziel, teilten ukrainische Behörden mit. In Teilen des Landes seien der Strom ausgefallen und die Wasserversorgung zusammengebrochen. In lokalen und sozialen Medien wurde über Angriffe auf Wasserkraftwerke in mehreren Regionen berichtet. „Anstatt auf dem Schlachtfeld zu kämpfen, kämpft Russland gegen Zivilisten“, schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. „Russland macht das, weil es noch über Raketen verfügt und den Willen, Ukrainer zu töten.“ Russland bestreitet, Zivilisten anzugreifen.
Ukraine nimmt Getreidelieferungen über Schwarzes Meer wieder auf
Quelle: Reuters
Titelfoto: Symbolfoto
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