Erfurt (dts Nachrichtenagentur) – Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, steht einem möglichen Verbot der chinesischen Kurzvideo-App Tiktok, wie dies in den USA erwogen wird, skeptisch gegenüber. „Verbote und Abschottungen sind ein Weg, der aber Grenzen hat, da im Zeitalter der Digitalisierung und des globalen Internets die Möglichkeiten der Umgehung ebenso zahlreich sind“, sagte Kramer dem „Handelsblatt“.
„Es sei denn, man will eine Zensur des Internets, wie es sonst nur bei Diktaturen üblich und mit unseren Vorstellungen und Grundrechten von einer offenen Gesellschaft kaum vereinbar ist.“ Sinnvoller sei es, „über die Risiken aufzuklären, Medienkompetenz allgemein und die Resilienz gegen Desinformation zu stärken“.
Kramer sagte weiter: „Tiktok funktioniert wie ein Trojaner.“ So würden beispielsweise die Kontakte aus dem Adressbuch der User ausgelesen und an die App übermittelt. Zudem könne Tiktok alle Tastatureingaben mitlesen. „Jeder Nutzer ist quasi ein freiwilliges Versuchskaninchen in einem sozialen Feldversuch, weil unter anderem Vorlieben, Konsum-, Kommunikations- und Surf-Verhalten sowie persönliche Daten an den Betreiber geleitet, dort gesammelt und ausgewertet werden“, erklärte der Verfassungsschützer. Hinzu komme, dass der Software-Algorithmus der App erkenne, welche Videos wie lange geschaut werden.
Danach würden den Nutzern „individuell maßgeschneidert“ weitere Videos gezeigt, die der Algorithmus als relevant erkannt habe. „Damit steuert Tiktok beziehungsweise der Betreiber China, was die Konsumenten zu sehen kriegen.“ Solange es sich nur um harmlose Katzen-Videos handele, sei das „relativ ungefährlich“, sagte Kramer weiter. „Wenn es sich aber um Videos mit politischen oder gesellschaftlichen Informationen oder gar Verschwörungsfantasien oder ausländischen Regierungsnarrativen handelt, wird das Ganze schnell meinungsbildend und damit höchst relevant“, gab der Geheimdienstchef zu bedenken. Das seien dann „ideale Verhältnisse“ für die Verbreitung von Desinformation, um Gesellschaften zu destabilisieren.
Foto: Junge Frauen mit Smartphone (Archiv), via dts Nachrichtenagentur
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